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Wie der Einsatz von KI-Technologien ausarten kann, zeigt das Beispiel China: Auf jeden zweiten Bürger soll im Jahr 2020 eine Überwachungskamera kommen. Das soziale Kreditsystem erfasst und bewertet das Verhalten der Bürger – und schränkt deren Reisefreiheit ein.

Foto: AP Photo/Andy Wong

Für den US-Investor Peter Thiel ist die Demokratie eine "veraltete Technologie". Dem widerspricht Zukunftsforscher Daniel Dettling im Gastkommentar.

Demokratie im Endspiel?

Digitale Transformation und künstliche Intelligenz (KI) verändern unser soziales Leben. Die Frage ist: wie stark und in welche Richtung? Bisher hat die Digitalisierung nicht zur erhofften Dezentralisierung von Macht geführt, sondern zur Oligarchie von Plattformen. Ist die Alternative zur Demokratie eine Art technoautoritäres Einparteiensystem – ohne den ökonomischen Niedergang des Kommunismus? Eine Reihe von Staaten befindet sich weltweit auf dem Weg in diese digitale Diktatur – China, Thailand, Singapur, Nordkorea. Zu ihnen könnten bald auch afrikanische Länder zählen sowie die Türkei, Russland und sogar Ungarn.

Peter Thiel, amerikanischer Investor mit deutscher Herkunft und Gründer von Pay-Pal, hält die Demokratie für eine "veraltete Technologie", die für die digitale Welt nicht geeignet ist. Der britische Technikjournalist Jamie Bartlett sieht in seinem Buch "The People Vs Tech" die Demokratie in einem Endspiel mit den neuen Technologien: "In den kommenden Jahren wird entweder die Technologie die Demokratie und die soziale Ordnung, wie wir sie kennen, zerstören, oder die Politik wird der digitalen Welt ihre Autorität aufdrücken."

Noch ist das Spiel nicht entschieden. Wir haben die Wahl: Wir können Systeme entwickeln, die Regierungen im Dienste der Bürger kontrollieren – oder Systeme für Staaten und Unternehmen, die uns als Bürger und Konsumenten überwachen.

China ist kein Vorbild

Den zweiten Weg hat China gewählt: Bis 2020 will die Volksrepublik jedem Bürger einen "Superscore" zuordnen und ein soziales Kreditsystem einführen, nach dem das gesamte soziale Verhalten der Bürger erfasst und bewertet wird. Ziel ist die vollständige Videoüberwachung mit umfassender Gesichtserkennung und Verhaltensanalyse durch KI.

Auf jeden zweiten Chinesen soll im Jahr 2020 eine Überwachungskamera kommen. Bereits heute ist die Reisefreiheit von mehr als 20 Millionen Chinesen massiv eingeschränkt. Etliche Eltern können nicht entscheiden, wo ihre Kinder zur Schule gehen. China erfindet die Diktatur neu, um die totale Kontrolle über Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auszuüben.

Eine digital-demokratische Vision

Eine bessere, demokratische KI braucht eine Vision, sie lebt von Netzwerken und Bewegungen, von stabilen und transparenten Infrastrukturen, von Regulierung und Bildung. Am Anfang muss die Frage stehen, was wir wirklich wollen und brauchen. "Demokratie und Gesellschaft 4.0" bedeutet: Stärkung der Individuen, mehr Sicherheit und Komfort – und eine Gesellschaft, an der alle Bürger teilhaben können.

Vier Trends spielen in Zukunft eine entscheidende Rolle:

1. Digitale Mobilisierung

Netzwerke und Grassroots-Bewegungen engagierter Bürger entstehen, die sich auf bestimmte Themen und Projekte konzentrieren. Politik wird sich immer mehr um Projekte und immer weniger um Parteien herum organisieren. Die Basis dafür werden KI-Tools der direkten Vernetzung bilden – Algorithmen und Apps, die Projekte und Menschen zusammenbringen.

2. Europäische Infrastruktur

"Wir haben in Europa die Kontrolle über diese steuernden Algorithmen komplett an private US-Firmen abgegeben", warnt Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks – und er stellt die zentrale Frage: "Wie gelingt es uns, auch im digitalen Raum eine Gesamtöffentlichkeit herzustellen?" Die Antwort sieht er in der Schaffung einer digitalen europäischen Plattform für audiovisuelle Inhalte und einer Infrastruktur, die sich am Gemeinwohl, an Transparenz und Offenheit orientiert. Ein Gegenentwurf zu den privaten Monopolen des Silicon Valley und den autoritären Plattformen Chinas.

3. Algorithmenkontrolle

Nicht nur China und die USA, auch etliche Länder in der EU setzen auf automatisierte Entscheidungen in der Verwaltung. In Dänemark kam es dabei zuletzt zu einem Aufschrei, weil örtliche Behörden Gefahren für das Kindeswohl vorhersagen wollten und mithilfe von Punktebewertungen für psychische Erkrankungen, Arbeitslosigkeit und verpasste Arzttermine das Risiko für Kinder abschätzen wollten. Es braucht daher auf nationaler und europäischer Ebene eine Behörde für KI, die Richtlinien und gemeinsame Standards für den Einsatz von Algorithmen erarbeitet.

4. KI für alle!

Auch die Bürger brauchen mehr KI-Kompetenz. In Finnland schlossen 2018 mehr als 10.000 Bürger im Rahmen der landesweiten Initiative "AI Challenge" einen kostenlosen KI-Onlinekurs erfolgreich ab. Eine Bildungsoffensive im Sinne von "KI für alle" wäre auch für Österreich ein guter Anlass, möglichst viele Bürger über niedrigschwellige Zugänge für das Zukunftsthema zu begeistern. KI darf kein Monopol für IT-Studierende und Ingenieure bleiben.

Es gibt – jenseits von Techno-Skeptizismus und digitalem Utopismus – einen dritten Weg für eine demokratische KI-Zukunft: die Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz zu einer gesellschaftlichen Zukunftsintelligenz. Demokratie erscheint dann nicht als "veraltete Technologie", sondern im Gegenteil: als Zukunftstechnologie. Ihre Vision ist die Stärkung der Individuen, ein Mehr an Sicherheit und Lebensqualität – und eine Gesellschaft, an der jeder und jede teilhaben kann. Es geht um die digitale Neuerfindung der Demokratie. KI kann uns dabei helfen. (Daniel Dettling, 14.5.2019)