Jedes Jahr Milliarden Tonnen an Gestein: In Nikolaus Geyrhalters Film "Erde" gräbt sich der Mensch seine eigene Zukunft unter den Füßen weg.

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Was dem Planeten blühen könnte, sollte die Menschheit einmal von seiner Oberfläche verschwinden, darauf bot Nikolaus Geyrhalters vorletzter Film Homo Sapiens einen Vorgeschmack. Die Natur eroberte sich den Raum, den ihr Kontrahent ihr streitig gemacht hatte, wieder zurück.

Von der Zivilisation bleiben nur Ruinen, die Zeugen des Verfalls nach einer möglichen Klima katastrophe. Das legt zumindest der neue Film des heimischen Dokumentaristen nahe, wenn man ihn als Prequel zu Homo Sapiens liest. Glänzte der Mensch 2016 noch durch Abwesenheit, fokussiert Geyrhalter nun ganz auf die Spezies und ihren ruinösen Einfluss auf die Erde, wie sein siebenter Film in dieser Dekade heißt.

Bewegungslose Kamera

Wo wir uns befinden, ist somit klar, und auch in welcher Ära, ohne dass der Begriff genannt wird, nämlich im sogenannten Anthropozän. Das ist jene Epoche, in der der Mensch zum angeblich maßgebenden Umweltfaktor avancierte, zu einer Art Natur gewalt, die, wie ein Schriftzug in Erde erklärt, Milliarden Tonnen Gestein pro Jahr bewegt.

Geyrhalterfilm

In Kontrast dazu wirkt die erste Einstellung wie ein trockener Witz: Sie zeigt einen Bagger in der Einöde, der einsam eine karge Böschung hinuntertuckert und dabei ein bisserl Geröll mitschiebt. Im charakteristischen Geyrhalter-Stil hält die bewegungslose Kamera minutenlang auf diesen scheinbar belanglosen Vorgang drauf, ohne dass ein Voice-over einhaken würde. Aber die Bilder sollen nicht nur für sich selbst sprechen. Der Homo sapiens kommt diesmal in Gestalt von Arbeitern, Ingenieurinnen und Wissenschaftern zu Wort, die etwa in Marmorbrüchen, Tagebauen oder Kupferminen tätig sind. An sieben in Nordamerika und Europa verstreuten Stationen (darunter auch der Brennerbasistunnel, Schauplatz von Geyrhalters Die bauliche Maßnahme) reflektieren sie vor lautstarker Kulisse ausbeutungskritisch über die Zukunft der Erde und Gattung.

Störfaktor Mensch

Die einen sind demütig ob der Manpower, die zum Zweck der Baulandgewinnung buchstäblich Berge versetzen kann. Sie verkünden stolz, dass im Kampf zwischen Mensch und Natur Ersterer gewinnt. Die anderen schwärmen vom Abenteuer in gefährlicher Arbeitsumgebung, fabulieren von der Universalität der Gewalt oder warnen vor dem sicheren Untergang der Zivilisation, sollte der Raubbau an dem Planeten nicht bald ein Ende finden.

Gehen die Meinungen zum Widerspruch zwischen Natur und Zivilisation auch auseinander, durchzieht sie doch eine Vorstellung wie ein roter Faden: Entweder ist der Planet ein Subjekt, eine "grausame Herrin", gegen die wir uns wehren müssen; oder "Mutter Natur", die unseres Schutzes bedarf; oder ein Objekt der Begierde, durch dessen "Fleisch" man sich gräbt, bohrt und sprengt, das man damit gar "entjungfert". Fast scheint es dann so, als löse der Film den Widerspruch zugunsten der Natur auf, was die Schlussepisode mit einer kanadischen Indigenen nochmals unterstreicht.

Apokalyptische Vorstellungen

Gaia-Kitsch und Vergewaltigungsfantasien beiseite begünstigt diese Sichtweise der Erde das Denken vom Menschen als einem Parasiten. In einem an und für sich harmonischen Gefüge kann er nur als Störfaktor in Erscheinung treten, man muss ihn loswerden. Dieser im Jargon der Klimawarner nicht unübliche menschenfeindliche Gestus geht allzu oft mit apokalyptischen Vorstellungen einher.

Erde aber tritt in keine dieser Fallen und bedient auch nicht die grassierende Katastrophenlust, wie es sonst vielleicht nur Blockbusterkino kann. Schauwerte gibt es dennoch genug, vor allem die seltsam schönen Bergbaupanoramen aus der Vogelperspektive imponieren, ebenso wie die mächtigen Maschinen, die auf spektakuläre Weise Masse bewegen. Deren Tosen übertönt oft die Stimmen der Menschen in einem Film, der sich länger anfühlt, als er ist, und in dem sich einiges wiederholt. Wodurch er selbst Züge des Planeten annimmt: (Die) Erde ist ein zäher Brocken. (David Auer, 15.5.2019)