Bild nicht mehr verfügbar.

Weizenkeime enthalten Spermidin, bei der industriellen Verarbeitung von Weizen werden sie allerdings entfernt. Weil sie durch lange Lagerung ranzig würden.

Foto: Getty Images

Zeitgeist ist wahrscheinlich der beste Begriff, der einem im Zusammenhang mit dem Wunsch nach einem langen Leben einfallen würde. "Lange leben und gesund sterben", brachte es der Ex-Finanzminister und heutige Investor Hannes Androsch auf den Punkt. Der Anlass dafür war eine Pressekonferenz, bei der das Nahrungsergänzungsmittel Spermidinelife vorgestellt wurde. Drei Millionen Euro hat Androsch investiert, ein Grazer Unternehmen produziert zwischen 300.000 und 500.000 Kapseln im Monat.

Zwar darf der Hersteller Longevity Labs keine heilende Wirkung versprechen, doch dafür ist Frank Madeo aus Graz zur Pressekonferenz gekommen. Auf seinen Studien zum Anti-Aging beruht die Geschäftsidee des Grazer Herstellers, der in den vergangenen drei Jahren vor allem daran getüftelt hat, wie er hohe Dosen von Spermidin in die Kapseln bekommt.

Alter erforschen

Spermidin ist kein synthetischer Wirkstoff, sondern kommt in höchster Konzentration in der Samenflüssigkeit vor. Daher hat es auch seinen Namen. Es kommt aber auch im Essen vor: in Vollkornprodukten, Äpfeln, Erbsen, Spinat, Brokkoli oder in Nüssen zum Beispiel. Das Spermidin für die Kapseln wird aus Weizenkeimen gewonnen. "Das sind jene Bestandteile, die vor der industriellen Verarbeitung entfernt werden, "weil es die sind, die die Produkte ranzig werden ließen", so Madeo. An der Universität Graz, an der Madeo unterrichtet, wird der Alterungsprozess des Menschen seit Jahren erforscht. Als Madeo Spermidin als einen Schlüsselwirkstoff für den Autophagie-Prozess im Körper entdeckte, erregte das Aufsehen.

20 Jahre Ernährungstagebuch

Was Autophagie ist? Es ist eine Art Müllentsorgung der Zellen, ein Prozess, der auch beim Fasten eingeleitet wird (siehe Kasten). Autophagie ist Madeos eigentliches Forschungsgebiet. Mit den Jahren, sagt er, würden sich Fehler in diesen Autophagie-Prozess einschleichen, "regelmäßiges Fasten kurbelt ihn wieder an", so Madeo. Spermidin spiele ebenfalls eine Rolle bei der Autophagie, sagt er, und insofern sei aus seiner Sicht eine Kombination aus Fasten und Spermidin eine ideale Ergänzung für alle, die Langlebigkeit anstreben. Hannes Androsch jedenfalls habe sich schon lange für seine universitären Forschungen interessiert und sein Labor besucht, "noch lange bevor über eine Produktentwicklung nachgedacht wurde".

Frank Madeo hat die Wirkung von Spermidin zuerst an Hefezellen und später an Mäusen erforscht. Danach wertete er die epidemiologischen Daten aus der sogenannten Bruneck-Studie hinsichtlich seiner Forschungsfrage aus. In der Bruneck-Studie wurden 1000 Bewohner der Stadt Bruneck, die im Südtiroler Pustertal liegt, über einen Zeitraum von 20 Jahren beobachtet. Zwei Jahrzehnte füllten die Probanden im Alter zwischen 40 und 79 Jahren Ernährungsfragebögen aus und machten Angaben zu Essgewohnheiten, Lebensstilfaktoren und körperlichen Aktivitäten. Die Wissenschafter berechneten daraus den Einfluss auf Krankheiten und Langlebigkeit und fanden schließlich Hinweise darauf, dass eine spermidinreiche Ernährung lebensverlängernd sei. Sprich: dass Vollkornprodukte und Nüsse einen Effekt auf die Organe des menschlichen Organismus haben. Konkret, so Madeos Beobachtung, profitieren vor allem Herz und Gehirn. "Das relative Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, kann damit um bis zu 50 Prozent reduziert werden", sagt er.

Kapseln statt Fasten

Ein wissenschaftlicher Beweis ist die Untersuchung noch nicht. Zwar wurde der Einfluss anderer Risikofaktoren herausgerechnet, ein Kausalschluss im Sinne "Spermidin ist gleich Langlebigkeit" lässt sich aber nicht ableiten.

An der Charité in Berlin läuft eine Studie an Menschen mit prädementiellem Syndrom, die von Agnes Flöel durchgeführt wird. Sie untersucht, ob sich die Gedächtnisleistung von Menschen nach drei Monaten Spermidin-Einnahme verbessert. Eine ähnliche Studie ist für Herzpatienten geplant, kann Madeo berichten.

Doch warum eigentlich Kapseln? "Viele Menschen schaffen es einfach nicht, zu fasten oder sich gesund zu ernähren", berichtet Madeo und beruft sich auf seine Erfahrung. Für sie ist Spermidin in Kapselform eine Option. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind nicht bekannt, "es ist ein dem Organismus bekannter Stoff", begründet das der Molekularbiologe. Die Spermidin-Dosis in den Kapseln sei aber höher als der Gehalt in Vollkornprodukten. Und ja, wer regelmäßig fastet und sich gesund ernährt, erzielt denselben Effekt.

Keine "Health Claims"

"Als Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln ist es uns nicht erlaubt, unsere Produkte mit irgendwelchen Health-Claims zu bewerben", betont Herbert Pock, Geschäftsführer des Spermidinlife-Herstellers Longevity. Man dürfe also keine Gesundheitsbehauptungen aufstellen, das basiert auf einer Verordnung des Europäischen Parlaments vom 20. Dezember 2006 zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben von Lebensmitteln. Insofern setzt man darauf, die Studien zu Spermidin publik zu machen.

Ob Hannes Androsch, der dieses Jahr 81 wurde, diese Kapseln schluckt? "Ja, seit drei Monaten. Ob sie wirken, werden wir dann sehen, wenn ich meinen 90. Geburtstag feiere", sagt er und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Solange er lebe, wolle er aber Start-ups mit innovativen Produktideen fördern. Das Geschäft mit den Nahrungsergänzungsmitteln sei insgesamt Neuland, und er ist vorn mit dabei. (Karin Pollack, Günther, Brandstetter 18.5.2019)