Er kommt aus einer Familie von "Ziegelböhm". Mit denen, sagt er, hat man früher nichts zu tun haben wollen. Mit seiner Mutter, Ziegelarbeiterin, habe er stets noch Tschechisch gesprochen. Heute ist er Angestellter der Stadt Wien, hat einen sicheren Job und eine Gemeindewohnung. Aber seine türkischen Kollegen im Betrieb kann er nicht ausstehen. Wenn sie unter sich sind, meint er, reden sie Türkisch. "Niemand versteht sie. Wer weiß, vielleicht schimpfen sie auf uns." Früher hat er Rot gewählt. Und heute natürlich Blau.

Der Mann ist einer der Protagonisten in Ulrike Gladiks neuem Dokufilm "Inland". Er ist kein unsympathischer Typ, wie auch die anderen Wiener FPÖ-Wähler, die darin vorkommen. Es ist eine der Leistungen der Filmemacherin, dass sie ihre Figuren nicht vorführt, sondern ihnen zuhört und versucht, sie zu verstehen. Sie alle sehen sich als "Kleine", die von den "Großen" nicht gehört und berücksichtigt werden. Und die FPÖ, tut die wirklich etwas für die kleinen Leute? Völlig sicher ist man sich da nicht, aber die Blauen in der Regierung sind jedenfalls etwas Neues und, das ist das Wichtigste, gegen die Ausländer.

Der junge Arbeitslose aus dem Obdachlosenheim, auch er ein ganz netter Kerl, sieht sich den ganzen Tag einschlägige Videos an. Ein Flüchtlingsboot ist auf dem Bildschirm zu sehen, dazu die Aufschrift "Wo ist der Weiße Hai, wenn man ihn braucht?". Ja, der würde die ganze Bande auffressen. Aber das sind doch Menschen, sagt die Interviewerin. Antwort: "No, sag ma halt Menschen dazu." Einmal kommt das Gespräch unverblümt auf den Punkt. "Dir geht’s schlecht. Ist es dir wichtiger, dass es anderen noch schlechter geht, als dass es allen ein bisschen besser ginge?" Nach kurzer Nachdenkpause sagt er ehrlich: "Eigentlich ja."

Definition durch Beruf

Eine Gewerkschafterin hat vor kurzem ihre Beobachtung kundgetan, dass sich noch vor einigen Jahren Menschen vor allem durch ihren Beruf definierten: Ich bin ein Werkzeugmacher. Heute sagen sie: Ich bin ein Österreicher. Rasse vor Klasse. Interessant auch, dass im Film alle mit einer gewissen Nostalgie von "früher" sprechen, als man noch beim Maiaufmarsch der Wiener SPÖ mitmarschierte. Schön sei das gewesen. Aber heute ... Wobei auffällt, dass beim heurigen 1. Mai auf dem Rathausplatz so gut wie keine Teilnehmer mit Migrationshintergrund zu sehen waren. Die eigentliche Arbeiterklasse, fast ausschließlich aus Migranten bestehend, fehlte.

Gibt es eine Schlussfolgerung, die man aus all dem ziehen könnte? Gar eine positive? Höchstens die Erfahrung, dass sich bei der großen Einwanderungswelle aus Böhmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr ähnliche Einstellungen gezeigt hatten. "Wenn du auf der Straße Tschechisch gesprochen hast, bist du gehaut worden", erzählte einer, der das erlebt hatte. Und in ihrem Buch Hitlers Wien berichtete die Historikerin Brigitte Hamann, wie damals eine Gruppe tschechischer Handwerker einen Ausflug in die Wachau unternahm und nirgends bedient wurde. Sie musste ohne Heurigenbesuch wieder heimfahren.

Möglich, dass die Migranten von heute eines Tages ähnliche Geschichten aus längst überwundenen Zeiten erzählen werden. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 16.5.2019)