Nicht umsonst reden FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky seit Wochen in einem blauen Werbespot auf einen jungen Burschen an einer Bar ein, der am Wahlsonntag "daham" bleiben will. Denn dann, so orakelt das freiheitliche Duo "Ha-Ze" und "Harald", drohe ein Wahlsieg "der rot-grünen Zuwanderungsfanatiker", die in dem Clip im Hintergrund schon laut jubeln – was den jungen Mann doch ins Grübeln kommen lässt.

Bei der letzten EU-Wahl blieben hierzulande fast 55 Prozent den Urnen fern, europaweit waren es 2014 gar mehr als 57 Prozent.
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Wer sind die Wahlberechtigten unter uns, die tatsächlich auf ihr einst hart erkämpftes Recht pfeifen? Bei der letzten EU-Wahl blieben hierzulande fast 55 Prozent den Urnen fern, europaweit waren es 2014 gar mehr als 57 Prozent. Der Politologe Peter Filzmaier hat die heimischen Fernbleiber samt ihrer Ausreden untersucht – und machte unter dieser vielschichtigen Spezies damals schon zwei signifikante Gruppen aus.

Junge zornige Männer

Die erste tut sich – siehe FPÖ-Spot – bei den unter 30-Jährigen auf: In dieser Altersklasse schwänzten vor fünf Jahren fast zwei Drittel der Männer die Wahl – im Gegensatz zu den jungen weiblichen Wahlberechtigten, von denen nahezu zwei Drittel sehr wohl daran teilnahmen. Filzmaier: "An der Bar und auf dem Wohnzimmersofa teilen nicht wenige junge Männer die Empörung von Strache und Vilimsky" über Brüssel, Bürokratie und angeblichen "Bevölkerungsaustausch". Doch viele rappeln sich dann im realen Leben nicht auf, um zur EU-Wahl zu gehen.

Skeptische Pensionistinnen

Auch von den über 60-Jährigen gaben beim letzten Mal überproportional viele kein Votum ab: Fast zwei Drittel davon waren Frauen, viele davon Pensionistinnen und auch SPÖ-Sympathisantinnen. Bei den älteren Herren, meist Arbeiter und sonst oft SPÖ- und FPÖ-Wähler, verzichtete die Hälfte auf ihr Wahlrecht.

Anders als die älteren Semester bekennen sich die jüngeren Wahlverweigerer jedoch eher zu ihrer Ignoranz, so der Experte: In der Generation 60plus, die noch die Zeiten des Schillings, des Kalten Kriegs und des Eisernen Vorhanges miterlebt hat, sei man sich nämlich durchaus bewusst, dass ein Wahlverzicht als "sozial unerwünschtes Verhalten" gelte.

Und was zeichnet Herrn und Frau Nichtwähler andernorts aus? Fest steht, dass 2014 die meisten Wahlmuffel in der Slowakei und in Tschechien registriert wurden. Dort lag die Wahlbeteiligung gerade einmal bei 13 beziehungsweise 18 Prozent.

EU-Wahlmuffel im Osten

Filzmaier erklärt die niedrigen Raten in den Visegrád-Staaten – auch Polen und Ungarn verzeichneten hier keine Glanzwerte – damit, dass die dortigen Parteien kaum Geld in den Wahlkampf pumpen, was sich eben in der mageren Mobilisierung niederschlage. Außerdem werde das EU-Parlament in vielen jüngeren EU-Staaten bis heute als "machtstrategisch irrelevant" erachtet, vielmehr wollen nicht wenige dieser Länder ihren Einfluss lieber im EU-Rat, also bei den Treffen der Staats- und Regierungschefs, gesichert wissen.

Alledem stehen Belgien und Luxemburg mit mehr als 89 und 85 Prozent als Spitzenreiter bei der Wahlbeteiligung gegenüber. Doch diese schönen Zahlen täuschen, denn in beiden EU-Ländern herrscht bis heute strenge Wahlpflicht. Bedeutet: Die knapp elf beziehungsweise 15 Prozent, die sich dort der EU-Wahl entziehen, werden mit fixen Pönalen sanktioniert, wie der Politologe ausführt. "Das bedeutet aber auch, dass diese Geldstrafen die Schlechtergestellten natürlich härter treffen als die Besserverdiener."

Mir san mir-Mentalität

Anders als in den beiden EU-Gründerstaaten ist es mit der europäischen Identität unter den Österreichern nicht weit her, was ebenfalls den hiesig hohen Anteil an EU-Wahlverweigern erklärt. Gemeindezugehörigkeit, Bundesländerpatriotismus, Nationalstolz erhalten in Umfragen stets bessere Werte als das Bekenntnis, Europäer zu sein, weiß Filzmaier. "Seit Jahren liegt die Zustimmung hier meist im niedrigen einstelligen Prozentbereich – und das, obwohl bei dieser Frage durchaus Mehrfachantworten erlaubt wären." (Nina Weißensteiner, 18.5.2019)