Daniel Kehlmann kritisiert Kanzler Kurz.

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Mit der Entgegennahme des Anton-Wildgans-Literaturpreises der Österreichischen Industrie ist nicht notwendig ein Bekenntnis zum Unternehmertum verbunden. Aber Daniel Kehlmanns Dankesrede, gehalten am Mittwoch Abend im Haus der Industrie, ließ alle geläufigen Kategorien der Danksagung weit hinter sich. Kehlmann deklarierte sein Österreichertum, indem er die Prägung "durch den langen Doppelschatten Kurt Waldheims und Jörg Haiders" betonte. Und er rief den "Ernstfall" aus: Georg Kreislers Warnung vor der sich abzeichnenden Rückkehr des Faschismus in der Alpenrepublik, ausgesprochen 2009, sei "eingetreten".

Kehlmanns Kür als Wildgans-Preisträger 2019 verwundert keineswegs. Das Werk des 44-Jährigen ist, wie gefordert, von "hervorragender Relevanz". Es verrät Züge früher Meisterschaft, und es verdankt sich – von Beerholms Vorstellung (1997) bis Tyll (2017) – vor allem einer kosmopolitischen Intelligenz, die von der spielerischen Übernahme international gängiger Literaturmuster lebt.

Zuletzt immer stärker fühlbar wurde, etwa in dem Stück Die Reise der Verlorenen (2018), Kehlmanns unverschlüsseltes Bekenntnis zu Werten der Humanität und des Antifaschismus. Und so nutzte Kehlmann die Gelegenheit der Mittwoch-Feierstunde, um eine beispiellose Philippika an die Adresse von Bundeskanzler Sebastian Kurz zu richten.

In einem Atemzug mit Trump

Kehlmanns Appell bemühte die Instanz der Nachwelt. Er fragte Kurz rhetorisch, ob dieser in die künftigen Geschichtsbücher als der Mann eingehen wolle, der es "einer rechtsextremen Partei ermögliche", diesem Land irreparablen Schaden zuzufügen. Draußen in der Welt würde Österreich bereits in einem Atemzug mit Trumps Amerika oder Orbáns Ungarn genannt. Er, Kurz, sei jung genug, um die künftigen Geschichtsbücher über sich noch lesen zu können. Sie würden Einträge über die "dummdreiste Vulgarität" jetziger Regierungsvertreter enthalten.

Den Sektkorken wird das Knallen vergangen sein. Tatsächlich hatte Kehlmann bereits im November, aus Anlass der Vergabe des EU-Literaturpreises im Belvedere, sein Konzept einer gegen Populismus und Illiberalität gerichteten Gedächtniskultur erläutert. Damals geißelte er Ungarns Orbán-treue Medien für den Versuch, Literaturnobelpreisträger Imre Kertész zu schmähen. Unverbrüchliches stehe da wie dort auf dem Spiel: "Offenheit, Toleranz, Intellektualität". Kehlmann, Genius der Leichtigkeit, nimmt die Wirklichkeit schwer. Dazu ist ihm zu gratulieren. (Ronald Pohl, 15.5.2019)