In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich, eine STANDARD-Redakteurin und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage einer Leserin.

Frage:

"Mein sechsjähriger Sohn hat Phasen, in denen er in der Nacht nass aufwacht. Das passiert alle paar Wochen mal und meistens zwei bis drei Nächte hintereinander oder innerhalb einer Woche. Dann ist wieder länger Ruhe. Es passiert auch, wenn er vor dem Schlafengehen auf der Toilette war (worauf wir eigentlich immer achten).

Viele Eltern sind verunsichert, wenn Vorschulkinder manchmal noch einnässen.
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Manchmal wechselt er dann seinen Pyjama selbst und legt sich dann wieder ins Bett. Er behauptet, dass er zu gut schläft und in diesen Fällen nicht merkt, dass er aufs Klo muss. Ist das noch normal oder sollen wir das psychologisch/körperlich untersuchen lassen?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Vorweg: Wie fast alles im Leben muss auch die Kontrolle über die eigenen Ausscheidungen gelernt werden. Und wie bei jedem Lernprozess ist dessen Geschwindigkeit bei jedem Menschen unterschiedlich. Wenn es also bei Ihrem Sohn etwas länger dauert als bei anderen, dann ist das erst einmal überhaupt kein Drama. Die Gefahr, dass dieser Lernverzögerung ernste Probleme zugrunde liegen, ist gering.

Der medizinischen Lehrmeinung zufolge wird Bettnässen ab einem Alter von fünf Jahren definiert. Da würde Ihr Sohn jetzt dazugehören. Dennoch ist es so, dass zwanzig Prozent aller Fünfjährigen noch gelegentlich undicht sind, Jungen häufiger als Mädchen. Also so außergewöhnlich ist er da keineswegs. Mit hoher Wahrscheinlichkeit erledigt sich das Problem bald von selbst. Sollte das nicht der Fall sein, könnte ein Hormonmangel des Hormons ADH die Ursache sein, der nach medizinischer Abklärung leicht vorübergehend behoben werden könnte.

Um mit der aktuellen Situation umzugehen, kann es hilfreich sein, dass Ihr Sohn abends nicht mehr zu viel zu trinken bekommt und dass Sie ihm dabei helfen, äußere Stressfaktoren, die dann nachts im Traum verarbeitet werden müssen, zu begrenzen, also ihm nicht noch zusätzlichen Druck wegen seiner Unpässlichkeit machen. Die Art und Weise jedenfalls, wie Ihr Sohn mit seinem kleinen Problem umgeht, dass er sich selbst einen neuen Pyjama anzieht und auch eine passende Erklärung dafür parat hat, ist durchaus fein so. (Hans-Otto Thomashoff, 19.5.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
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Antwort einer STANDARD-Redakteurin:

Bettnässen kann für die ganze Familie zur Belastung werden, erst recht, wenn der Schulbeginn naht und das Reinschlüpfen in die Windel am Abend noch immer so selbstverständlich ist, wie den Pyjama anzuziehen. Unsere Kinderärztin war prinzipiell sehr relaxt und meinte, dass rein statistisch in jeder Volksschulklasse mehrere Kinder sitzen, die nachts keine Blasenkontrolle haben. Trotzdem müsse man mit sechs Jahren überprüfen, ob keine organischen Ursachen vorliegen. Ultraschall und Bluttest ergaben keine Auffälligkeiten. Wir führten ein Protokoll, bei dem die Trink- und Harnmengen aufgeschrieben wurden, die Menge an Getränken am Abend wurde bewusst gering gehalten – die Windel war weiter gut gefüllt.

Es könnte auch schlicht sein, dass das Kind schlicht zu tief schlafe, meinte die Ärztin, und Blasenkontrolle sei eine Entwicklung, die bei manchen viel länger dauere als normalerweise üblich, es könne bis in die Jugend oder gar ins Erwachsenenalter dauern – daran wollte ich noch nicht einmal denken. Es gab Zeiten, da klappte es ein paar Nächte wunderbar, dann kam wieder der Rückschlag: Das Bett war nass. Das Kind litt und wir mit ihm. Eine Klingelhose wurde angeschafft. Die Ärztin meinte dazu: "Nur wenn das Kind und Sie das wirklich wollen." Die Hose verfügt über Feuchtigkeitssensoren, die im Fall des Falles einen schrillen Ton auslösen. Das funktionierte, ich wurde geweckt – Kind und Mann schliefen tief und selig weiter, trotz des ohrenbetäubenden Lärms in der ganzen Wohnung. Nach einigen Nächten wurde das Teil beiseitegelegt. Bringt nix außer schlechten mütterlichen Schlaf, war die Erkenntnis. Der nächste Schritt waren Tabletten – auch sie waren umsonst.

Der Schulbeginn, ja, die ersten beiden Schuljahre waren mittlerweile vorbei. Auswärts bei Freunden übernachten war für das Kind unangenehm. Ein Schulausflug mit Übernachtung in der dritten Klasse wurde monatelang davor zum bedrohlichen Ereignis, auch wenn die trockenen Nächte immer häufiger wurden. Die Lehrerin wurde vorab informiert. Sie meinte, dass das durchaus öfter vorkomme. Lehrerin und Kind vereinbarten einen Plan, sollte "es" passieren. Es passierte nicht. Und in der Folge immer seltener. Irgendwann war es einfach vorbei und kam danach nie wieder vor. Rückblickend hätten wir auf Klingelhose und Tabletten einfach verzichten können, denn es erzeugte nur zusätzlichen Druck und anschließend Frustration. (red, 19.5.2019)

Antwort von Katharina Weiner:

Um Gewissheit zu erlangen, ob organisch alles in Ordnung ist oder der Ursache auf die Spur zu kommen, kann ein Gespräch mit einer Kinderärztin oder einem Kinderarzt bestimmt sehr hilfreich sein. Sie werden dabei erfahren, dass Einnässen in der Nacht auch noch zehn Prozent der Siebenjährigen betrifft, wobei bei Buben generell eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht. Eine konkrete Abklärung obliegt natürlich dem Facharzt, der im Falle eines psychologischen Verdachts entsprechend weiterverweist.

Ein zusätzlicher Ansatz ist, sich Gedanken darüber zu machen, ob es, seit Sie die erwähnen Phasen beobachten, Veränderungen in der Familie, in der Umgebung, Schule beziehungsweise im Kindergarten gab. Das kann ein Geschwisterkind sein, eine Trennung, ein Verlust, Streit mit Freunden oder auch Ärger oder Angst in der Schule oder im Kindergarten. Kinder reagieren auch auf länger zurückliegende Ereignisse, die uns als Erwachsene nicht mehr so bewusst sind.

Sollten Sie eine Idee dazu haben, sprechen Sie mit Ihrem Sohn darüber, ohne sich gedanklich eine Lösung für das nächtliche Bettnässen zu wünschen, sondern um sich dafür zu interessieren, was ihn bewegt, und ihm zu versichern, dass Sie für ihn da sind, wenn er Hilfe braucht.

Versuchen Sie Ihren Sohn nicht dazu anzuregen, damit aufzuhören oder es weniger oft zu machen, denn es geschieht nicht absichtlich. Es soll für ihn also kein Problem werden, in dem er sich selbst als Verursacher der elterlichen Sorgen wahrnimmt.

Was Ihr Sohn, wie alle anderen Kinder auch, braucht, ist die Sicherheit, dass er okay ist, wie er ist, und Sie darauf vertrauen, dass, so alle genannten Faktoren ausgeschlossen wurden, er nachts bald trocken sein wird. (Katharina Weiner, 19.5.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin sowie Coachin und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
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