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Texanische Jäger und einige von ihnen erlegte "Wildschweine". Das Aussehen der Tiere kann stark zwischen Haus- und Wildschweinform variieren.
Foto: Reuters/Helibacon

Wer in amerikanischen Filmen oder TV-Formaten schon einmal über das Thema Wildschweinjagd gestolpert ist, wird sich beim Anblick der Beute möglicherweise gedacht haben: So sieht doch kein Wildschwein aus? Und tatsächlich haben die Tiere, die erst die USA und nun auch Kanada erobert haben, nur bedingt mit den Wildschweinen zu tun, die bei uns in Mitteleuropa mit zunehmenden Streifzügen in Schrebergärten und Vororte für Schlagzeilen sorgen.

Und es handelt sich auch nicht um einheimische Verwandte. Echte Schweine (Suidae) hat es in Nordamerika nie gegeben. Natürlicherweise kommen dort nur Pekaris vor, die Wildschweinen äußerlich zwar ähneln, aber lediglich entfernte Cousins sind. Hauptsächlich leben diese in Süd- und Mittelamerika, nur das Halsbandpekari (Pecari tajacu) hat sich bis nach Mexiko und ein paar an Mexiko angrenzenden Regionen der südlichen USA ausgebreitet.

Siegeszug der Hybride

Das Tier, das sich derzeit durch den nordamerikanischen Kontinent wühlt und frisst, ist ein Import – oder, genauer gesagt, das Produkt zweier Importe. Zum größeren Teil stammt es von europäischen Hausschweinen ab, wie sie Siedler seit Gründung der ersten Kolonien mitgebracht haben. Dazu kamen ab dem 19. Jahrhundert vereinzelte Importe von echten Wildschweinen (Sus scrofa), die entweder zur Jagd eingeführt wurden – oder auch, um den Genpool der Hausschweine etwas aufzupeppen. Letzteres wurde noch bis die 1990er-Jahre hinein gemacht.

Aus entkommenen Exemplaren beiderlei Ursprungs hat sich ein Hybrid entwickelt, der in manchen Regionen "Razorback" genannt wird, weil sich die Haare der zotteligen Tiere am Rücken zu einer Art Kamm aufrichten. Mitunter wird noch zwischen "wild pigs" (also verwilderten Hausschweinen) und "wild boars" (tatsächlichen Wildschweinen) unterschieden. Doch die Begriffe verschwimmen, wie sich auch die Schweine ungeachtet ihrer Herkunft fröhlich vermischen. Optisch reicht ihre Bandbreite daher von Tieren, die sehr nach Wildschweinen aussehen, bis zu solchen, die gerade erst einem Stall entwischt scheinen.

Bei diesem Tier, fotografiert in der kanadischen Provinz Saskatchewan, ist die Wildschweinform praktisch unverfälscht erhalten geblieben.
Foto: Klint Brownridge

Während sich die Tiere längst quer über nahezu die ganzen kontinentalen USA (und Hawaii) ausgebreitet haben, wird man sich in Kanada der Invasion erst allmählich bewusst. Forscher der University of Saskatchewan haben nun erstmals eine Karte zusammengestellt, die die Ausbreitung der Schweine im Land zeigt.

Einige zentrale Eckdaten: Das Verbreitungsgebiet der Tiere hat sich im Lauf des vergangenen Jahrzehnts pro Jahr um neun Prozent ausgedehnt und mittlerweile Ausmaße von 777.000 Quadratkilometern erreicht. Und zumindest für das kommende Jahrzehnt wird sich der Trend laut den Forschern um Ruth Aschim ungebremst fortsetzen, wenn nicht drastische Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Fortpflanzungsfreudig und mit Appetit auf alles gesegnet

Zwei Faktoren machen die Schweine zu exzellenten Invasoren. Einer davon ist ihre Fortpflanzungsrate: Die Hybride werden dank ihres Hausschwein-Erbes schon im Alter von vier bis acht Monaten geschlechtsreif – deutlich früher als ein Wildschwein und beachtlich für ein Tier dieser Größe. Pro Wurf bringen sie im Schnitt sechs Ferkel zur Welt, und das Jahr für Jahr.

Zudem sind Schweine Paradebeispiele für Generalisten, und zwar in jeder Hinsicht. In Eurasien und Afrika sind Wildschweine in nahezu jeder Klimazone vertreten, von tropischen Wäldern bis zur sibirischen Steppe. Dass ihnen die Kälte nicht viel ausmacht, kommt ihnen in den kanadischen "Prärieprovinzen" – dem Epizentrum ihres neuen Verbreitungsgebiets – sehr entgegen. Kälteeinbrüche überstehen sie, indem sie sich Kuhlen in den Schnee graben, sogenannte "Pigloos".

Eine Schweinerotte in Saskatchewan erkundet, was sich auf einem bereits abgeernteten Feld noch finden lässt.
Foto: Dan Sakar

Was die Nahrung betrifft, sind sie sogar noch vielseitiger. Verschiedenste Pflanzen gehören ebenso dazu wie Kleintiere, von Amphibien und Reptilien bis zu Kleinsäugern und geplünderten Vogelnestern. Zudem werden sie für einheimische Arten wie Hirsche oder Schwarzbären zu einer ernstzunehmenden Nahrungskonkurrenz. Umgekehrt droht den wehrhaften Tieren außer vom Menschen nur von wirklich großen Raubtieren wie Pumas oder Wölfen Gefahr. Auch die können die anschwellenden Schweinebestände aber nur dort im Zaum halten, wo sie selbst in größerer Zahl vertreten sind.

Die Pflanzenfresserei bringt die Schweine natürlich in Konflikt mit dem Menschen, da sie Felder verwüsten und sich über Heu- oder Getreideballen hermachen. In den USA beträgt der von verwilderten Schweinen angerichtete landwirtschaftliche Schaden laut Uni Saskatchewan bereits mehr als eine Milliarde Dollar pro Jahr.

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Fast dieselbe Szene wie oben, nur in einer anderen Klimazone: Diese Tiere leben an der lauschig warmen Küste des US-Bundesstaats Georgia.
Foto: AP Photo/SDA-APHIS Wildlife Services

Kulturpflanzen sind aber nicht die einzigen Opfer, wie Aschim erklärt: Im lange Zeit schweinelosen Nordamerika habe sich die Flora nicht so gut auf große, im Boden wühlende Tiere eingestellt wie in Europa und Asien, wo sich die Pflanzen Seite an Seite mit Schweinen entwickelten und besser an fortwährende Plünderungen bis hinab zu den Wurzeln anpassen konnten. Der Schaden an der Pflanzenwelt wiederum führe zu verstärkter Erosion der Böden.

Aus all diesen Gründen nennt Aschim die verwilderten Schweine ein "ökologisches Unglück" – sie seien heute unter allen invasiven Säugetieren in Kanada die Nummer eins. Ihr Kollege Ryan Brook, der das Canadian Wild Pig Project leitet, ergänzt: Hier bahne sich kein Umweltdesaster an, es sei längst eines am Laufen. (jdo, 19.5.2019)

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Bei der Kolonisierung von Neuland scheinen Schweinen kaum Grenzen gesetzt zu sein.
Foto: AP Photo/Chris O'Meara