Das hätte sich Gott nicht gedacht: dass sein altes Zehn-Punkte-Programm mehr als dreitausend Jahre später in einer sensibel aktualisierten Fassung für den österreichischen Markt herauskommt, ohne einen Wechsel vom Berg Sinai auf den Manhartsberg erforderlich zu machen. Aber sich seiner welthistorischen Bestimmung zu entziehen, ist eines Waldhäusls Sache nicht, wenn der Bevölkerungsumtausch in falsche Bahnen zu geraten droht. Auch wenn er dafür über einen arischen Schatten springen muss – es gibt in blauen Augen offenbar kein besseres Beispiel für die Durchführung eines organisierten Zuzugs zwecks Schaffung einer identitären Volksgemeinschaft als unter Moses.

Moses war nicht perfekt

Und so wie damals geht es auch heute nicht ohne zehn Gebote eines Erleuchteten. Dass deren erstes lautet, "Die deutsche Sprache lernen" kommt aus seinem Munde überraschend, pflegt er doch bei seinen Auftritten an so manchem Schibboleth deutscher Sprachbeherrschung zu scheitern. Aber auch Moses war nicht perfekt, und auf die Absicht kommt es an. Seine Gebote wären "positiv gemeint" und "das Normalste, was der Hausverstand hergibt" – Waldhäusls Vorläufer hätte es nicht besser sagen können, doch Widerstand gegen Hausverstand hat erfahrungsgemäß Tradition.

Überhaupt ist festzustellen, dass die FPÖ unter Strache den Koalitionspartner zumindest spirituell und ästhetisch ins türkise Eck gedrängt hat. In Braunau blühte unter ihren Fittichen die Dichtkunst auf, freiheitliche Malerei erlebte ihren odinösen Durchbruch an der Kunstfront bis in die oberösterreichische Landeskunstsammlung – endlich ein Schlag gegen entartete Kunst! Gabalier verleiht freiheitlichem Hausverstand die Flügel des Gesanges – Asylwerber, denen da nicht wie Schuppen von den Augen fällt, sie wären in der Heimat großer Söhne angekommen, haben nichts anderes verdient als sofortige Abschiebung. Das Mindeste wäre die strenge behördliche Kontrolle der Einhaltung von Waldhäusls zehntem Gebot: "Du sollst Österreich gegenüber Dankbarkeit leben." Am besten durch Heimkehr dorthin, wo es sich nicht leben lässt.

Hauptfeind ist der Koalitionspartner

Gegen diesen freiheitlichen Aufschwung wirkt das türkise Regierungslager konfus. Vor der EU-Wahl wirft sich der Bundeskanzler als Tausendsassa in die Schlacht, der in einem Aufwaschen ebenso viele EU-Bestimmungen vom Tisch wischen will, wie er mitbeschlossen hat. Der Hang zum Tausendjährigen hat ihn ergriffen, und da heißt es, an vielen Fronten zu kämpfen. Hauptfeind ist der Koalitionspartner. Das ist leicht, dazu braucht er nur dessen Argumente zu übernehmen. Schwieriger ist der Kampf gegen seinen ihm aufgezwungenen Spitzenkandidaten, der sich durch eine aus dem Hut gezogene Karoline Edtstadler nicht neutralisieren lassen will.

Ein wenig kämpft er gegen die Opposition, aber vor allem gegen diese Bevormundung per Regelungswahnsinn durch Brüssel. So will er davon ablenken, dass er mit diesem dumpfen Populismus längst unter die Vormundschaft Straches und seiner rechtsextremen Kampfgefährten im Ausland geraten ist. Diese Bevormundung ist umso unsittlicher, je identitärer sich der Vormund zu erkennen gibt. (Günter Traxler, 16.5.2019)