Schon der Grieche Platon wusste: Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg.

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Ohne Krieg hätte diesen Beitrag ein anderer geschrieben. Oder auch nicht. Jedenfalls verdankt der Autor seine Existenz dem Krieg. Sein Vater war der zweite Ehemann seiner Mutter, die ihren ersten im Zweiten Weltkrieg verloren hatte. Den zweiten lernte sie durch Umstände kennen, die der Krieg geschaffen hatte.

Der Krieg also als Vernichter und Schöpfer, als Trenner und Kuppler. Der Krieg als Vater aller Dinge? Vollständig lautet dieses Zitat, das dem griechischen Philosophen Heraklit (550-460 v. Chr.) zugeschrieben wird, so: "Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien."

Eine unbequeme Wahrheit. Für Pazifisten eine inakzeptable, außer was die Versklavung des Menschen durch den Krieg betrifft. Andere Philosophen der Antike haben das Paradoxon, den Widerspruch zwischen Friedenssehnsucht und Kriegslust, noch provokanter formuliert: Si vis pacem para bellum – wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg.

Das lateinische Sprichwort geht auf den Griechen Platon zurück. In seinen Nomoi (Gesetzen) heißt es: "Die vornehmste Grundlage eines glückseligen Lebens aber ist dies, dass man weder Unrecht tut noch von anderen Unrecht erleidet. (...) Und ebenso ergeht es auch einem Staate, ist er tüchtig, so wird ihm ein friedliches Leben zuteil, ist er es nicht, so bedrängt ihn Fehde von innen und außen (...)"

Krieg als historische Gestaltungskraft

Der deutsche Historiker Dieter Langewiesche, Spezialist für Fragen von Nation und Nationalstaat, greift das Thema in Der gewaltsame Lehrer – Europas Kriege in der Moderne auf. Seine zentrale These: Der Krieg ist eine der größten historischen Gestaltungskräfte.

Ohne Krieg kein Fortschritt im menschlichen Zusammenleben, keine erfolgreiche Revolution, keine Demokratisierung, kein starker Staat. Schöpfen durch Zerstören: Auch Immanuel Kant tat sich mit diesem Dilemma nicht leicht. Er sah den Krieg als "Zerstörer alles Guten", die größte zu überwindende Hürde, um sich an die "ewige Norm für alle bürgerliche Verfassung", die republikanische, anzunähern.

Um dieses "Fortschreiten zum Besseren" anzustoßen, könne "Krieg von innen und außen", also Bürgerkrieg und Staatenkrieg, unvermeidlich sein.

Ein gedeihlicheres, friedlicheres Zusammenleben der Menschen durch Krieg zu erreichen, also durch explizite Außerkraftsetzung der Menschlichkeit – ist das nicht reinster Zynismus, jedenfalls aber ein unauflösbares Paradoxon?

Langewiesche will nicht werten, sondern zeigen, aus welchen Gründen, mit welchen Absichten und welchen Ergebnissen die europäischen Kriege seit dem 18. Jahrhundert geführt wurden. Nach seiner Darstellung war schon der Siebenjährige Krieg (1756-1763) ein "Weltkrieg Europas": ausgetragen zwischen europäischen Staaten als Machkonkurrenten nicht nur auf dem europäischen Kontinent, sondern auch außerhalb Europas in Gebieten, die man als Teil des jeweiligen Imperiums oder als Einflusssphären beanspruchte.

Nationalismus als Kriegstreiber

Mit der Neuordnung Europas nach Napoleon ab 1815 versuchten die europäischen Mächte, den "gehegten Krieg" durchzusetzen: Gekämpft wird zwischen Soldaten, nicht gegen die Zivilbevölkerung. Massaker im griechischen Unabhängigkeitskrieg (1821-1829) gegen die Osmanen führten zur ersten humanitären Militärintervention der Geschichte.

In der Schlacht von Navarino 1827 wurde die osmanische Flotte von den Verbänden Großbritanniens, Frankreichs und Russlands vernichtet. 1830 wurde der griechische Staat international anerkannt, auch vom Osmanischen Reich. Im heutigen Griechenland, dessen Existenz niemand von außen bedroht, ist der Nationalismus quicklebendig.

Man will sich nicht vorstellen, wie der jetzt beigelegte Namensstreit mit dem Nachbarn Mazedonien ausgetragen worden wäre, wäre Griechenland nicht EU- und Nato-Mitglied und die künftige Republik Nordmazedonien nicht EU- und Nato-Beitrittskandidat.

Für Langewiesche ist Nationalismus der Kriegstreiber schlechthin. Mit wenigen Ausnahmen seien alle Nationalstaaten durch Krieg entstanden. Die mit dem Untergang des Habsburgerreiches als Folge des Ersten Weltkriegs verbundenen Hoffnungen auf eine Friedensgemeinschaft demokratisch selbstbestimmter und kulturell möglichst homogener Nationalstaaten erfüllten sich nicht: "Die Nation erwies sich erneut als eine Kampfgemeinschaft im Gehäuse des Nationalstaates, sie war weiter bereit zum Krieg, um ihre Ziele zu errreichen. Anders gesagt: Sie blieb in ihren Anfängen treu."

Und, vor allem: "ohne Emotion keine Nation". Daher braucht die Nation den Krieg als "eine der stärksten emotionalen Kräfte im Leben von Menschen. In der Ausnahmesituation des Krieges, wenn im Namen der Nation über sie und ihr Leben verfügt wird, erleben sie die existentielle Zugehörigkeit zu ihr".

Die EU ist der historisch einzigartige Versuch, die Logik von Nation und Krieg zu durchbrechen. Dabei leidet sie an mangelnder emotionaler Bindung ihrer Bürger. Weil sie keine Kriege führt? Ein gespenstischer Gedanke. Aber er macht klar, was auf dem Spiel steht. (Josef Kirchengast, 19.5.2019)