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Gas in verunreinigter Form sorgt für jede Menge Ärger.

Foto: AP Photo/Sven Kaestner

Wie ein Krake kontrolliert die Pipelinegesellschaft Transneft ein riesiges Leitungsnetz von fast 70.000 Kilometer Länge. Trotz der steigenden Konzentration im Ölsektor gibt es noch eine Reihe von Förderunternehmen im Land. Doch wer sein Öl beispielsweise für den Export weitertransportieren will, schaut ohne Transneft buchstäblich in die Röhre, denn der Konzern ist alleiniger Pipelinebesitzer in Russland und transportiert so 84 Prozent des in Russland geförderten Öls.

Das staatliche Monopol wird mit nötiger Zuverlässigkeit und Kontrolle begründet. Doch diese Kontrolle hat vor einem Monat gründlich versagt. Rund fünf Millionen Tonnen verschmutztes Öl hat Transneft anstandslos aufgenommen und befördert. Gut die Hälfte davon leitete der Konzern über die Pipeline "Druschba" – russisch für "Freundschaft" – Richtung Europa. Ein Teil ging über Weißrussland nach Polen und Deutschland, ein anderer ging von Weißrussland nach Süden in die Ukraine, nach Ungarn und in die Slowakei.

Schaden für Anlagen und Maschinen

Die Weißrussen schlugen zuerst Alarm: Der hohe Gehalt an organischem Chlorid machte nicht nur das Öl für die Weiterverwertung unbrauchbar, sondern drohte auch Anlagen und Maschinen zu beschädigen. Die weißrussische Raffinerie Mosyr drosselte daher die Verarbeitung Auch die Raffinerien Leuna und Schwedt, die das Rohöl in Deutschland normalerweise in Benzin und Diesel, Heizöl, Propylen oder Bitumen veredeln, stoppten die Weiterverarbeitung. Der riesige Skandal rief sogar Kremlchef Wladimir Putin auf den Plan, der einen "gewaltigen ökonomischen und Imageschaden" beklagte und Konsequenzen forderte.

Die ersten davon erinnern an das System: "Die kleinen hängt man und die großen lässt man laufen". Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen mehrere Manager kleinerer Ölgesellschaften in der Wolga-Region erhoben. Ihnen wird vorgeworfen, Öl entwendet zu haben, um es an Dritte weiter zu verkaufen. Um den Betrug zu verdecken hätten sie dann minderwertiges Öl in die Leitung gepumpt. Ein Teil der Angeklagten hat sich abgesetzt.

Keine Ermittlungen gegen Transneft

Gegen Transneft hingegen gibt es allem Anschein nach bisher keine Ermittlungen wegen Verletzung der Aufsichtspflichten. Das Unternehmen leitet Nikolai Tokarjew, der mit Putin noch aus gemeinsamen Agententagen in der DDR bekannt ist. Er wird aller Voraussicht nach trotz der Schlamperei seinen Posten behalten. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte unter Berufung auf das Energieministerium, dass die Transneft-Führung keine Schuld treffe. Vize-Premier Dmitri Kosak sagte auf Nachfrage von Journalisten, über einen Rücktritt Tokarjews sei ihm nichts bekannt.

Immerhin soll künftig stärker kontrolliert werden. Die Regierung will alle Punkte, in denen Öl in die Pipeline eingespeist wird, überprüfen. Zudem teilte Kosak mit, Transneft sei kooperativ und bereit, die Verluste zu ersetzen.

Millionen oder Milliarden

Über die Höhe des entstandenen Schadens gibt es allerdings noch große Differenzen. Die russische Regierung selbst schätzte den Schaden zuletzt auf unter 100 Millionen Euro. "In der Presse werden verschiedene Zahlen genannt, die sehr viele Fragen aufwerfen. Aber natürlich sind es keine Milliarden und auch keine hunderte Millionen Dollar", gab sich Energieminister Alexander Nowak sicher.

Doch mit dieser Schätzung wird Minsk sich wohl nicht zufrieden geben. Präsident Alexander Lukaschenko hatte schon vor Tagen von "hunderten Millionen Dollar" gesprochen. "Das ist ein gewaltiger Schaden, der der Pipeline zugefügt wurde, den Anlagen in der Pipeline, wie den Pumpen und auch der Raffinerie", klagte er. Hinzu kommen Forderungen wegen des verloren gegangenen Transits in der Zeit und dem erzwungenen Stillstand der Raffinerie.

Verkaufen mit Rabatt

Die gelieferten, aber minderwertigen fünf Millionen Tonnen Öl werden die Verbraucher ebenfalls nicht bezahlen wollen. Allein dies hätte einen Marktwert von 2,7 Milliarden Dollar, auch wenn Nowak dazu eine recht eigenwillige These abgab. Das Öl könne auf dem Markt mit einem Rabatt "von einigen Dollar" weiterverkauft werden, meinte er. Derzeit wird es allerdings noch mühsam aus der Pipeline entfernt.

Ob es angesichts der enormen Reinigungskosten mit "einigen Dollars" getan ist, bleibt abzuwarten. Noch gibt es russischen Angaben nach keine offiziellen Kompensationsforderungen. Doch die Konzerne am anderen Ende der Leitung dürften bereits in Kürze ihre Rechnung präsentieren.

Immerhin sollen die Lieferungen nach Deutschland über den Nordstrang bereits in Kürze wieder aufgenommen werden. Die Slowakei und Ungarn hingegen müssen bis Mitte bis Ende nächster Woche mit neuen Lieferungen warten. (André Ballin, 18.5.2019)