Foto: APA/Pfarrhofer

Wien – Da war doch noch was?! Ach ja, die EU-Wahl am kommenden Sonntag! Welche Auswirkungen hat das Ibiza-Video auf die einzelnen Parteien im Wahlkampf? Welche Folgen sind zu erwarten nach der personellen Selbstenthauptung der FPÖ durch den Rücktritt von Vizekanzler und Parteichef Heinz-Christian Strache sowie Klubchef Johann Gudenus und die Neuwahlentscheidung von Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz?

Politikwissenschafter Peter Filzmaier gibt im STANDARD-Gespräch eine vielleicht im ersten Moment ungewöhnliche Antwort: "Zunächst hat sich überhaupt nichts geändert." Inwiefern? "Die Schlüsselfrage ist und bleibt die Mobilisierung und nicht das Thema: Wie kann ich Wechselwählerinnen und Wechselwähler dazu bringen, bei uns das Kreuz zu machen", sagt der Politologe. "Die Mobilisierungsfrage ist sogar noch stärker geworden" durch die innenpolitischen Verwerfungen.

Theoretisch ein großer Wählerpool zum Fischen

Mit Blick auf die drei größeren Parteien – ÖVP, SPÖ und FPÖ – lautet die Ausgangslage nämlich: Alle drei haben – theoretisch – eine "riesige Wählermenge, die die Partei schon mal gewählt hat und die man jetzt eben dazu bringen müsste, zur EU-Wahl zu gehen".

Denn bei Schwarzen, Roten und Blauen gibt es große quantitative Differenzen zwischen denjenigen, die die ÖVP, die SPÖ oder die FPÖ bei der letzten EU-Wahl 2014 und zuletzt bei der Nationalratswahl 2017 gewählt haben. In allen drei Fällen konnten die Parteien bei der nationalen Wahl viel mehr Menschen von sich überzeugen.

Demnach stehen im Fall der ÖVP rund 760.000 Stimmen bei der EU-Wahl 1,6 Millionen bei der Nationalratswahl gegenüber – Letztere mit dem zentralen Wahlmotiv Sebastian Kurz. Bei der SPÖ ist der Unterschied nicht ganz so groß, rechnet Filzmaier vor: 680.000 EU-Wahl-Stimmen versus 1,36 Millionen Nationalratswahlstimmen. Und bei der FPÖ stehen EU-Wahl-mäßig 560.000 Wählerinnen und Wähler auf der Habenseite, bei der Nationalratswahl 2017 waren es an die 1,3 Millionen, die für die FPÖ stimmten.

Flankentreffer für die ÖVP?

Theoretisch hätten also alle drei Parteien einen großen potenziellen Wählerpool. "Bei der ÖVP bleibt alles gleich", sagt Filzmaier. "Die Frage ist nur: Kriegt man Flankentreffer vom Koalitionspartner FPÖ ab?" Jedenfalls habe Parteichef Kurz schon zuletzt, etwa durch die Pommes-Intervention, im EU-Wahlkampf gezeigt, das er auch bei diesem Urnengang auf das stärkste Wahlmotiv für ÖVP-Wähler, nämlich sich selbst, setzen will.

Darüber hinaus gebe es in der Volkspartei sicher auch die Hoffnung auf blaue Wechselwähler, die in den Schoß des türkisen Regierungspartners überlaufen könnten: "Wenn jemand die FPÖ nicht mehr mag, aber rechts ist, wen soll er denn sonst noch wählen", sagt Filzmaier.

Etwas höhere Mobilisierungschance der SPÖ

Der SPÖ habe das "Ibiza-Gate" der Blauen hingegen "den ersten Ansatzpunkt für Mobilisierung" geliefert: "Ihre Mobilisierungschance ist vermutlich etwas gestiegen", meint der Politikprofessor – entscheidend für das EU-Wahlergebnis wird allerdings sein, ob es den Sozialdemokraten gelingt, diejenigen, die sie schon bei der Nationalratswahl gewählt haben, auch zur Europawahl zu animieren.

Die Chancen von Neos und Grünen liegen, rein quantitativ betrachtet, nicht so sehr in der 2017er-Wählerschaft – die Grünen sind da ja aus dem Parlament geflogen: "Sie können das Mobilisierungsspiel nicht gewinnen", sagt Filzmaier. Ihr Objekt der Wahlkampfbegierde sind demnach vor allem wechselwillige Wählerinnen und Wähler und die Wahlmotive "Wir sind anders, wir sind glaubwürdig, wir stehen für eine andere Form der Politik."

"Wir gegen alle?" als FPÖ-Strategie?

Und für die Ibiza-Party-verkaterte FPÖ? "Ist die Hauptfrage: Wirkt das demobilisierend auf die Wählerschaft, oder führt es zu einem 'Wir gegen alle'-Zusammenschluss, zumal die Freiheitlichen ja schon jetzt in Richtung Täter-Opfer-Umkehr gehen", sagt Filzmaier. Straches Argumentationslinie bei seiner Mea-culpa-Rede am Samstag inklusive des raunenden Hinweises auf etwaige Verschwörungstheorien war, meint Filzmaier, "wenn das nicht rein psychologisch bedingt war, ja schon als Mobilisierungsschiene gedacht".

Im Übrigen habe sich die FPÖ im Lauf der Jahre eine "höhere Behalterate" erarbeitet, also "Leute, die sie relativ regelmäßig wählen – keine Komme-was-wolle-Stammwähler, aber doch relativ verlässlich", erklärt der Politikwissenschafter.

Für sie lautet die wichtigste Frage demnach: Ist das, was jetzt aus Ibiza gekommen ist, ein Grund, die FPÖ nicht mehr zu wählen – oder erst recht? (Lisa Nimmervoll, 19.5.2018)