Kiew – Dass es so einfach nicht wird mit Wladimir Selenskyj und dem Parlament, war schon vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten der Ukraine absehbar. In sozialen Netzwerken machte der 41-Jährige, bisher im Brotberuf Komödiant, seinem Ärger über die Abgeordneten Luft. Diese hätten bestimmt, dass die Machtübernahme nicht etwa am arbeitsfreien Sonntag, sondern erst am Montag über die Bühne ging. Verkehrsstaus und abgesperrte Straßen inklusive. "Entschuldigt bitte! Entschuldigt das Parlament. Es hat uns Schwierigkeiten bereitet. Ich verspreche, wir werden ihm auch Schwierigkeiten bereiten", schrieb Selenskyj.

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Selenskyj hätte seinen Amtseid lieber an der frischen Luft als im Parlament abgelegt.
Foto: Reuters / Gleb Garanich

Es dauerte nicht lang, bis er seine Ankündigung in die Tat umsetzte. In seiner Antrittsrede löste der neue Präsident am Montag in Kiew die Volksvertretung auf. In zwei Monaten soll die Oberste Rada, das ukrainische Parlament, neu gewählt werden. Ursprünglich waren die Wahlen für Oktober vorgesehen. Selenskyj kündigte außerdem an, die Immunität der Abgeordneten aufzuheben sowie gegen Bereicherung im Amt vorzugehen. Zudem will er den Geheimdienstchef und den Generalstaatsanwalt entlassen.

Hintergrund ist, dass Selenskyj keine eigene Mehrheit im Parlament hat, um Reformen durchzusetzen. Einige hochrangige Politiker hatten bereits in den vergangenen Tagen ihren Rücktritt erklärt, darunter Außenminister Pawel Klimkin. Verteidigungsminister Stepan Poltorak trat am Montag kurz nach der Rede zurück. Sie gehören zur Mannschaft des abgewählten Präsidenten Petro Poroschenko.

Komiker jüngster Präsident

Bereits am Freitag hatte die Regierungspartei Volksfront des früheren Regierungschefs Arseni Jazenjuk angekündigt, aus der Koalition auszutreten. Selenskyj legte am Montag der gesamten Regierung den Rücktritt nahe. Regierungschef Wolodymyr Hrojsman kündigte am Montag an, nach der Regierungssitzung am Mittwoch zurückzutreten.

Das Ende des Krieges im Osten des Landes sei für ihn vorrangige Aufgabe, sagte Selenskyj in seiner Rede. "Ich bin bereit zu allem." Für den Frieden im Donbass sei er bereit, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen und seine eigene Beliebtheit zu opfern, sagte er unter Beifall. Er will demnach auch den Dialog mit Russland suchen.

Zugleich kritisierte Selenskyj die Regierung unter seinem Vorgänger Poroschenko. Sie habe nichts dafür getan, dass sich die Menschen im Donbass als Ukrainer fühlen. Der frühere Schauspieler betonte, dass er alles dafür tun werde, die von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim wieder zurückzuholen. Er sei nicht bereit, Gebiete der Ukraine herzugeben.

Russland wies die Forderung erwartungsgemäß entschieden zurück. "Die Krim ist eine Region Russlands", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag. Nach Kremlangaben gibt es auch weiterhin keine Gratulation von Präsident Wladimir Putin. Putin werde Selenskyj gratulieren, wenn es erste Erfolge bei der Wiederherstellung der ukrainisch-russischen Beziehungen gebe und sich die Lage im Donbass normalisiere. Als möglich bezeichnete Peskow Kontakte zum Austausch von Gefangenen.

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"Diener des Volkes"

Der studierte Jurist Selenskyj hatte zuvor im Parlament bei einer feierlichen Amtsübernahme den Eid auf die Verfassung und eine alte Bibel geschworen. "Ich verpflichte mich, mit allen meinen Taten die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine zu verteidigen", sagte er. Dabei erhielt er auch das Amtssiegel und eine Ordenskette.

Eine große Bibel.
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Selenskyj hatte bereits jahrelang in der Fernsehserie "Diener des Volkes" ("Sluha Narodu") den Präsidenten gespielt. Im richtigen Leben trägt auch seine Partei den Namen der Sendung. Selenskyj hatte die zweite Runde der Präsidentenwahl vor einem Monat haushoch gewonnen.

Nach Angaben ukrainischer Medien waren Vertreter Russlands zu der Zeremonie nicht eingeladen worden. Die Ukraine sieht sich wegen des Konflikts im Osten des Landes im Krieg mit Russland. (flon, APA, 20.5.2019)