Hunderte Fans feierten mit den Handballerinnen von WAT Atzgersdorf und Obmann Christian Mahr (rechts) in der Südstadt den Meistertitel.

Foto: a.c.schiffleitner 2019

Irgendwann hat das passieren müssen. Aber dass es schon jetzt passiert ist, versteh ich nicht." Gunnar Prokop war 1972 Mitbegründer und später Trainer und/oder Manager des Frauenhandballvereins Hypo Niederösterreich, der unter seiner Ägide 1977 erstmals Meister wurde. Prokop hat sich nach 34 Meistertiteln, acht Champions-League-Erfolgen und vielen Wickeln 2010 verabschiedet und seither kein Hypo-Spiel gesehen. International spielt sein Ex-Klub keine Rolle mehr, und am Sonntag ist nach 42 Erfolgen auch die beispiellose Meistertitelserie gerissen. WAT Atzgersdorf ließ im Finale dem 22:18-Heimsieg ein 21:23 in der Südstadt folgen, das summierte sich zur sensationellen Wachablöse. Prokop: "Normal kann das gar nicht passieren."

Atzgersdorf mit seiner jungen Mannschaft, in der viele Schülerinnen und Studentinnen stehen, hat quasi Amateurstatus. Doch die Überraschung kam nicht aus dem Nichts, erklärt Christian Mahr, der Vereinsobmann. Seine Kinder brachten ihn zum Handball, Markus (18) spielt bei den Fivers, Sandra (16) in Atzgersdorf. Am Sonntag hat sie alle fünf Siebenmeter verwandelt, dabei hütet Hypos Tor eine frühere Champions-League-Siegerin, die Russin Olga Sanko (41). Auch dieses Duell mag für die Entwicklung im heimischen Handball stehen.

Tradition

WAT Atzgersdorf ist 107 Jahre alt und mit 240 Aktiven der größte Handballverein im Land. Der Fokus liegt nicht nur auf dem Spitzensport. Der Verein kooperiert mit vier Kindergärten und drei Volksschulen, allein drei Betreuer kümmern sich um die Gruppe der Fünf- und Sechsjährigen. Zudem ist die WAT stolz darauf, dass sich siebzig Seniorinnen regelmäßig zum Turnen treffen.

Mahr trat vor sechs Jahren mit dem Ziel an, alle Nachwuchsklassen zu schmücken, das sind bei Burschen wie Mädchen immerhin sieben. Und es war schon eine Ansage, als die U18-Atzgersdorferinnen im Vorjahr nach elf Hypo-dominierten Jahren erstmals siegten. Aus dieser Mannschaft sind etliche in die Erste aufgerückt, die in der Vorsaison eher gegen den Abstieg spielte als an der Spitze mit. Im März 2018 wurde Olivier Haunold von Mahr als Trainer eingesetzt, er führte Atzgersdorf vom vorletzten Platz ins solide Mittelfeld – und ein Jahr später zum Meistertitel. "Damit haben wir", sagt der Obmann, "Sportgeschichte geschrieben."

Das gute Teamgefüge

Atzgersdorf beschreibt sich selbst als "gallisches Dorf" und als "Nachwuchsschmiede". Andere Vereine, vor allem Hypo, werden nicht selten vorstellig und werben die größten Talente ab. Für Altina Berisha (24) war bei Hypo nach einer schweren Schulterverletzung kein Platz mehr, vor zwei Jahren kehrte sie zur WAT zurück. Nun ist sie Topscorerin der Liga und übersiedelt bald zum deutschen Zweitligisten Waiblingen. Ein Großteil der WAT-Mannschaft soll freilich gehalten werden, die meisten zieht es auch nicht wirklich weg. Mahr geht davon aus, "dass wir noch weitere Erfolge feiern werden".

Wie gut das Teamgefüge ist, zeigt das Beispiel Kristina Dramac. Die 17-Jährige hatte im ersten Finalspiel eine Unterschenkelverletzung erlitten, sie feuerte ihre Kolleginnen im Rückspiel an und fuhr dann ins Spital, um ihren OP-Termin wahrzunehmen, tags darauf wiederum konnte sie im Krankenhaus unzählige Besucherinnen begrüßen.

Das Vereinsbudget wird von Mahr mit 220.000 Euro beziffert, damit finanziert sich der Spiel- und Trainingsbetrieb von insgesamt 23 Teams. Das Training verteilt sich auf sieben Sporthallen, das ist der größte, eigentlich fast einzige Wiener Förderbeitrag. Nach derzeitigem Stand ist ungewiss, ob WAT Atzgersdorf es sich leisten kann, zur Champions-League-Qualifikation anzutreten. Allein zur Nennung wären 15.000 Euro zu hinterlegen. "Ich gebe die Hoffnung nicht auf", sagt Mahr, "aber uns fehlen die Mittel." Am Ende könnte noch Hypo den Europacupplatz erben, das schlüge dem Fass den Boden aus. (Fritz Neumann, 21.5.2019)