Spielende Alpenmurmeltiere – die großen Hörnchen weisen die geringste genetische Diversität aller bisher sequenzierten wildlebenden Säugetiere auf.

Foto: Carole und Denis Favre-Bonvin

Wien – Ein internationales Forscherteam mit österreichischer Beteiligung hat das Genom des Alpenmurmeltiers entschlüsselt und dabei Verblüffendes herausgefunden: Offensichtlich weisen diese Hochgebirgsnager die geringste genetische Diversität aller wildlebenden Säugetiere auf, deren DNA bisher sequenziert worden ist. Die Wissenschafter vermuten, dass es sich dabei um die Folgen einer Anpassung der Tiere an Klimaveränderungen im Verlauf der letzten großen Eiszeit handelt.

Größtes Hörnchen

Auf den ersten Blick mag es nicht so so aussehen, tatsächlich aber zählt das Alpenmurmeltier (Marmota marmota) zum verwandtschaftliche Umfeld des Eichhörnchens. Europas drittgrößter Nager (nach dem Biber und dem Stachelschwein) lebt jenseits der Baumgrenze in Gebirgshöhenlagen ab 800 Meter und kommt in den Alpen, den Karpaten und hier speziell in der Hohen Tatra vor.

Dass sich das Erbgut einzelner Tiere dieses Spezies so sehr ähnelt, kam für die Wissenschafter äußerst überraschend, "da genetische Verarmung vor allem bei sehr bedrohten Tierarten, wie beispielsweise dem Berggorilla, zu finden ist", erklärte der Südtiroler Biologe Markus Ralser, Leiter des Instituts für Biochemie der Charité in Berlin. Doch die Alpenmurmeltiere gelten nicht als bedroht, Hunderttausende von ihnen leben jenseits der Baumgrenze im Gebirge.

Anpassung an Klimaveränderungen

Um eine Erklärung für diesen Befund zu finden, rekonstruierten die Wissenschafter um Ralser die genetische Vergangenheit am Computer, denn die heutigen Lebensumstände liefern keinen Grund für die geringe genetische Vielfalt des Alpenmurmeltiers. Dazu kombinierten sie umfassende genetische Analysen mit Erkenntnissen, die von der Analyse von Murmeltier-Fossilien herrührten. Dabei kamen sie zu dem Schluss: Das Alpenmurmeltier verlor seine genetische Vielfalt, weil es sich mehrfach an Klimaveränderungen der letzten großen Eiszeit anpassen musste.

Zum einen bei der Besiedlung der eiszeitlichen Steppe vor etwa 110.000 bis 115.000 Jahren, zum anderen gegen Ende der Eiszeit vor etwa 10.000 bis 15.000 Jahren, als die eiszeitliche Steppe wieder verschwand. Seither leben sie in der höher gelegenen Steppe der Hochalpen, wo die Temperaturen denen der eiszeitlichen Steppe gleichen. Die Wissenschafter fanden Hinweise, dass die Adaption an die kälteren Temperaturen der eiszeitlichen Steppe dazu führte, dass sich die Generationszeit der Murmeltiere verlangsamte und ihre Mutationsrate abnahm. Deshalb konnten die Tiere nach der Besiedelung der Hochalpen keine wesentliche neue genetische Diversität mehr aufbauen, schreiben die Forscher im Fachjournal "Current Biology". Insgesamt weist das Genom des Alpenmurmeltiers eine außergewöhnlich langsame Evolutionsgeschwindigkeit auf.

Hohes Aussterberisiko

"Unsere Studie zeigt, dass Klimaveränderungen extrem langfristige Auswirkungen auf die genetische Vielfalt einer Art haben. Das war in der Deutlichkeit so noch nicht bekannt. Wenn sich also eine Spezies genetisch sehr ähnelt, kann das an Klimaereignissen liegen, die zehntausende Jahre zurückliegen", sagt Ralser. "Es ist erstaunlich, dass es das Alpenmurmeltier trotz seiner genetischen Armut geschafft hat, über Tausende von Jahren zu bestehen." Denn eine niedrige Variation im Genpool einer Spezies bedeutet eine geringere Anpassungsfähigkeit und höhere Anfälligkeit für beispielsweise Krankheiten, aber eben auch für Veränderungen der Umwelt und damit des Klimas. Entsprechend stellt eine geringe genetische Diversität ein Aussterberisiko dar.

"Wir sollten die Ergebnisse der Studie ernst nehmen, denn es gibt warnende Beispiele aus der Vergangenheit: Die Wandertaube war im 19. Jahrhundert einer der häufigsten Landvögel der nördlichen Hemisphäre. Dennoch ist diese Taube innerhalb von wenigen Jahren komplett ausgestorben. Geringe genetische Vielfalt hat dabei möglicherweise eine Rolle gespielt", resümiert Ralser. In einem nächsten Schritt sei es deshalb wichtig, auch andere Tiere, die wie das Alpenmurmeltier die Eiszeit überlebt haben, genauer zu untersuchen. "Diese könnten sich in einer ähnlichen genetischen Verarmungssituation befinden. Im Moment schätzt man die Gefährdung einer Art meist nur an der Anzahl der Tiere, die sich fortpflanzen können, ab. Dies als alleiniges Kriterium heranzuziehen, sollten wir überdenken", so der Wissenschafter. (red, 23.5.2019)