Die Versuchung ist groß: Türkis-Blau ist Geschichte, neue Mehrheiten können sich im Parlament finden. Der fliegende Wechsel von einer Mehrheit zur anderen droht. Das freie Spiel der Kräfte hatte bereits 2008 in der finalen Parlamentssitzung vor der damaligen Wahl Kosten von mehreren Milliarden Euro verursacht. Und auch 2017 wurde die Aufkündigung der rot-schwarzen Koalition genützt, um den Pflegeregress abzuschaffen. Alle Parteien außer den Neos stimmten damals dafür, eine Gegenfinanzierung gibt es bis heute nicht. Zumindest zwei reguläre Parlamentssitzungen sind bis zur Wahl im September terminisiert.

Es ist die Stunde der Parlamentarier: Der Koalitionsbruch ermöglicht neue Mehrheiten.
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1. Was kommt?

Der scheidende Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hat noch wenige Stunden vor seiner Entlassung seine Macht bewiesen und eine Verordnung zur Senkung des Stundenlohns für Asylwerber auf 1,50 Euro erlassen. Das Vorhaben stieß zuletzt sogar beim nun in Ungnade gefallenen Koalitionspartner ÖVP auf Widerstand und stand auf der Kippe. Kickl hat dennoch die Verordnung am Dienstagvormittag in Kraft gesetzt.

Auch für die Opposition birgt die Übergangszeit eine Chance: Sie kann versuchen, ihre Ideen durchzusetzen und dabei gleichzeitig die ehemaligen Regierungsparteien in Verlegenheit zu bringen. Stichwort Rauchverbot in der Gastronomie: Das wurde noch von Rot-Schwarz beschlossen und hätte ab 2018 gelten sollen, bevor es die türkis-blaue Regierung im Vorjahr zurücknahm.

Neos und auch Liste Jetzt wollen einen Antrag auf ein allgemeines Rauchverbot in der Gastronomie einbringen. Die SPÖ hat hier noch keine Entscheidung getroffen. Es ist aber anzunehmen, dass sie sich ebenfalls für ein Rauchverbot einsetzt. Die ÖVP hatte zuletzt immer argumentiert, dass die Aufhebung eine Koalitionsbedingung der Freiheitlichen gewesen sei. Die Strategie der Opposition: Die ÖVP soll in Erklärungsnot geraten, ob sie ein weiteres Mal ihre Meinung ändern will.

Auf der pinken Agenda steht außerdem die Streichung der von Türkis-Blau installierten Generalsekretäre in den Ministerien. Diese haben Beamtenstatus und können ihn auch nach dem Ausscheiden der Minister behalten. Das verursache Kosten von mehreren Millionen Euro. Weiteres Anliegen der Neos: Transparenzregeln bei der Parteienfinanzierung. Das Anliegen teilen sie mit der Liste Jetzt. Selbst die FPÖ zeigte sich zuletzt für das Ansinnen offen. Norbert Hofer, designierter blauer Parteichef, sprach sich für ein Großspendenverbot aus – ein Vorschlag, den die Neos wiederum ablehnen. Derartige Verbote würden zu Umgehungsgeschäften führen.

Für SPÖ und Liste Jetzt steht außerdem eine Rücknahme des Zwölfstundentages auf der Wunschliste. Bei diesem Thema könnte auch die FPÖ die Seite wechseln: Immerhin war das für die blaue Kernwählerschaft ein Affront. Für die SPÖ steht fest: "Es sollen keine weitreichenden Beschlüsse mit großen budgetären Auswirkungen gemacht werden." Die Liste Jetzt will zudem einen Antrag auf ein Glyphosatverbot einbringen.

2. Was versandet?

Auch wenn Türkis und Blau einander nicht mehr grün sind, bedeutet das nicht, dass sie gemeinsame Vorhaben fallen lassen. Aber Projekte wie die Steuerreform, von der erst eine Etappe im Ministerrat beschlossen wurde, könnten ins Stocken geraten. Auch die Erhöhung der Mindestpension wurde bisher erst im Ministerrat beschlossen – es gilt aber als unwahrscheinlich, dass hier Türkis und Blau von ihrem Vorhaben abkommen.

3. Was droht?

Einige türkis-blaue Prestigeprojekte sind von einer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof bedroht. Die Fusion der Sozialversicherungsträger könnte von den Höchstrichtern im Intensivwahlkampf gestoppt werden. Geschieht das, hat der Gesetzgeber den Auftrag, bis zu einem Stichtag die Reform verfassungskonform zu reparieren. Ohne Mehrheit ist das nicht möglich.

Auch über den persönlichen Feiertag und das Überwachungspaket werden die Höchstrichter entscheiden. Was auch noch drohen könnte: Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat zwar an die Parteien appelliert, ihre Verantwortung zu wahren, doch in Wahlkampfzeiten gerät die Vernunft oft ins Hintertreffen. Die Budgetsituation ist solide, und das von Türkis-Blau anvisierte Nulldefizit ist dann nicht mehr in Stein gemeißelt. (Marie-Theres Egyed, 22.5.2019)