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Otto Addo: "Ich bin froh, dass ich zumindest einmal dabei sein konnte."

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Addo mit Sebastian Kehl beim BVB.

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Inhalte des ballesterer #142 (Juni/Juli 2019) – Seit 24. Mai im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT: DER AFRIKA-CUP

BEFREIUNG, WETTBEWERB UND GESCHÄFT
Der Afrika-Cup von 1957 bis heute

WAHRE REPUBLIKANER
Ghanas Nationalteam und der Panafrikanismus

SPIELE MIT SPHINX
Gastgeber Ägypten will sich profilieren

AUSGEFALLENER CUP
Kameruns Versagen und seine Folgen

VON A BIS F
Die Turnierprognose

Außerdem im neuen ballesterer

DIE KAPITÄNIN UND IHR KNIE
Viktoria Schnaderbeck im Interview

WM IN FRANKREICH
Neue Mächte, alte Kämpfe

DIE QUAL DER QUALIFIKATION
Österreichs nächster Gegner Slowenien

EUROPAS LIEBLINGE
Wie Ajax fast die Champions League gewonnen hätte

NICHT ZU RETTEN
Ein Anstoß über den HSV

COPA IN BRASILIEN
Zahlen zum ältesten Kontinentalturnier

AM FAMILIENTISCH
Wie die Admira in die Südstadt kam

DER STERLING-EFFEKT
Der Kampf gegen Rassismus in England

STEREOTYP STATT MOBIL
Hütteldorf und die anderen

STURM VERSTEHEN
Zeitreise in die Gruabn

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Benin, England, Norwegen und Vietnam

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"Vielleicht können sie für die eine oder andere Überraschung sorgen. Sie haben zwar nicht mehr so viele Stars, aber eine junge Mannschaft und wenig Druck", sagt Otto Addo über seine Nachfolger. Vor 19 Jahren trug der gebürtige Hamburger beim Afrika-Cup das Trikot Ghanas und schoss beim 2:0-Sieg gegen Togo ein Tor. Seine Vereinskarriere verbrachte der Mittelfeldspieler jedoch komplett in Deutschland, und auch als Übergangstrainer bleibt Addo der Bundesliga treu. Im Sommer wechselt er von Borussia Mönchengladbach zu Borussia Dortmund.

ballesterer: Werden Sie beim Afrika-Cup in Ägypten sein?

Otto Addo: Nein, leider nicht. Der ghanaische Verband hat mir zwar angeboten, beim Afrika-Cup als Co-Trainer zu fungieren, das musste ich aber leider absagen. Im Juli beginne ich bei meinem neuen Arbeitgeber und will den Einstieg nicht verpassen. Daher werde ich das Turnier nur vor dem Fernseher verfolgen.

Sie sind Talentetrainer. Welchen Stellenwert hat der Afrika-Cup für das Scouting?

Das ist nicht mein Hauptaugenmerk, ich interessiere mich einfach für den afrikanischen Fußball und fühle mich mit Afrika stark verbunden. Ich habe für Ghana gespielt, ein großer Teil meiner Familie lebt noch dort. Natürlich schaut man auch, ob der eine oder andere Spieler interessant sein könnte. Das passiert aber eher bei den Nachwuchsturnieren.

Das Turnier wird erstmals im Sommer stattfinden. Wie beurteilen Sie das?

Es ist schwierig, einen geeigneten Termin zu finden. Auf der einen Seite ist er gut, weil sonst relativ wenig los ist. Der afrikanische Verband und die teilnehmenden Mannschaften wollen Gelder generieren, dafür braucht es eine hohe Aufmerksamkeit. Andererseits ist der Termin für die Spieler am Ende einer langen Saison nicht optimal, sie werden in die Vorbereitung mit ihren Klubs erst später einsteigen.

Sie waren 2000 als Spieler beim Afrika-Cup dabei. Das war ein halbes Heimturnier gemeinsam mit Nigeria. Wie haben Sie es erlebt?

Ich bin froh, dass ich zumindest einmal dabei sein konnte. Es war eine sehr gute Stimmung im Land und ein Einblick in eine andere Welt. Ich bin zwar auch in meiner Kindheit häufig nach Ghana geflogen, dennoch war es etwas anderes, diese Kultur auch im Fußball miterleben zu können. Dort sind viele Dinge anders abgelaufen als in Europa – auf dem Platz und drumherum.

Können Sie das beschreiben?

Es hat damals keine starke Trennung zwischen Fans und der Mannschaft gegeben. Wenn wir im Hotel aus unseren Zimmern gekommen sind, waren in der Empfangshalle Fans, die getrommelt und getanzt haben. Die hat man schon morgens beim Aufstehen gehört. In Deutschland wäre das unvorstellbar: Da ist Ruhe angesagt, und es gibt keinen Kontakt zu den Fans.

Wenn in der Lobby getrommelt wird, würde dort der Verband wohl eher die Polizei
wegen Ruhestörung rufen.

Bestimmt. Das sind einfach unterschiedliche Welten. Die Fans reagieren auch im Spiel anders. Vielleicht ist es manchmal brotlose Kunst, aber wenn in Ghana ein Spieler einmal getunnelt oder einen Trick gemacht hat, haben die Fans das bejubelt wie ein Tor.

Wie waren die Vorbereitungen auf die Spiele?

Komplett anders. Am Abend vor dem Spiel haben wir gemeinsam gebetet, obwohl wir etwa ein Drittel Moslems und zwei Drittel Christen in der Mannschaft gehabt haben. Da hat einer etwas auf Arabisch gesagt, dann einer eine Bibel gezückt und zwei, drei Verse rausgepickt. Man hat alles zusammen gemacht, da war sehr viel Musik und Spaß dabei – auch direkt vor dem Spiel. In Deutschland war ich anderes gewohnt: Alle müssen sich konzentrieren, keiner darf etwas sagen.

Ghana ist damals im Viertelfinale gegen Südafrika ausgeschieden. War das eine Enttäuschung?

Schon. Wir hatten eine gute Mannschaft und haben uns mehr ausgerechnet. Die Südafrikaner sind vor dem Spiel ihre Hymne singend in den Spielertunnel gekommen. Das war auch für uns ghanaische Spieler sehr mitreißend, weil wir die Geschichte des Landes gekannt haben. Nachträglich habe ich mich auch ein bisschen für Südafrika gefreut, dass sie durch den Sieg einen Teilerfolg gehabt haben.

Also internationale Solidarität?

Total. Mit dem Land ja. Für mich war das im Spiel auch ein bisschen hemmend, und ich habe meine Bestleistung nicht abrufen können – die haben völlig zu Recht gewonnen.

Borussia Dortmund

Die ghanaische Nationalmannschaft hat seit der Gründung im Jahr der Unabhängigkeit auch eine politische Rolle gespielt. Ist das den Spielern nähergebracht worden?

Was das angeht, wird viel zu wenig gemacht. Nicht nur im Sport. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass es zu viele aktuelle Probleme gibt. Zu viele Menschen müssen heute darüber nachdenken, was sie morgen zu essen haben. Man muss sich schon sehr für Fußballgeschichte interessieren und nachhaken, damit man etwas mitbekommt.

Also es hat für die Neuen im Nationalteam keinen Lehrgang gegeben, in dem es geheißen hat: "Das ist unsere Geschichte, seid stolz darauf!"

Nein, nein. Da ist es mehr um Dinge wie die Nationalhymne, bestimmte Tugenden der Mannschaft, die sportlichen Erfolge und vielleicht noch die bekanntesten Spieler gegangen. Aber das war es schon.

Wie sind Sie, als jemand, der in Hamburg aufgewachsen ist, im Nationalteam aufgenommen worden?

Sehr herzlich und zuvorkommend. Trotzdem bin ich dort als der Deutsche betitelt worden, aber nicht negativ. Zum Beispiel wegen der Pünktlichkeit. Die ist normal für mich, in Ghana war niemand vor der vereinbarten Zeit beim Treffpunkt.

Wie ist der Kontakt zustande gekommen? Hat Sie der Verband einfach angerufen?

Ich habe damals gemeinsam mit Gerald Asamoah für Hannover 96 gespielt, die wollten uns beide zu einem Länderspiel einladen. Tony Baffoe ist vom ghanaischen Verbandspräsidenten gefragt worden, ob er den Kontakt herstellen kann. Dann haben sie uns angerufen, und wir sind hingeflogen.

Baffoe ist ebenfalls in Deutschland aufgewachsen und hat für Ghana gespielt. War er ein Vorbild?

Ja, er und Souleymane Sane. Ich habe selbst sehr viele Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Ich habe Spiele gesehen, in denen die beiden von den Fans durchgängig beleidigt worden sind. Es war normal, dass Affengeräusche gemacht worden oder Bananen geflogen sind. Sie haben sich trotzdem durchgesetzt – das war sehr beeindruckend.

In einem Interview haben Sie erzählt, dass Sie in Ihrer Jugend von Skinheads regelrecht gejagt worden sind. Welche Stimmung hat in den 1980er Jahren in Deutschland geherrscht?

Es ist schwer zu verallgemeinern. Man darf die vielen positiven Dinge nicht vergessen, aber die negativen waren halt sehr extrem. Wenn ich mit neun, zehn Jahren allein mit dem Fahrrad zum Training gefahren bin, ist es vorgekommen, dass mich Rechtsradikale mit dem Auto verfolgt und mit Bierflaschen beworfen haben oder ausgestiegen sind und ich weglaufen musste. Das war nicht nur einmal der Fall, sondern bestimmt 20-mal. Später habe ich solche Erfahrungen auch gemacht, wenn ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs war. Ich habe damals sehr mit mir ringen müssen, meiner Mutter nichts davon zu erzählen, weil sie mich sonst bestimmt nicht mehr zum Fußball gehen lassen hätte. Und klar, allein ist man immer schwach, deswegen haben wir uns organisiert. Wir haben gewusst, wo die sich treffen, aber dort vorbeimüssen, also sind wir Umwege gefahren oder in einer größeren Gruppe, weil dann die Wahrscheinlichkeit geringer war, dass man angegriffen wird.

Wie haben Ihre Jugendvereine reagiert? Haben die etwas gemacht, um Sie zu schützen?

Nein, wir sind auch nicht offensiv an sie herangetreten, dass wir Hilfe brauchen. Im jugendlichen Leichtsinn glaubt man ja, dass man damit allein zurechtkommt. Ich habe auch nicht das Gefühl gehabt, dass das die Leute interessiert. Wenn ich beim Fußball beleidigt worden bin, ist der Trainer immer hinter mir gestanden. Aber das ist nicht weiter verfolgt worden, also dass jemand zum Hamburger Verband geht, der dann jemanden bestrafen könnte. Als wir 1997 mit Hannover in Cottbus um den Aufstieg in die zweite Liga gespielt haben und 20.000 Fans eine Minute lang "Nigger raus" gerufen haben, hat das auch niemanden interessiert. Wir sind nicht aufgestiegen, das war das einzige Thema.

Sie haben 2005 gesagt, dass Sie sich nicht als Deutscher fühlen. Haben diese Rassismuserfahrungen damit zu tun?

Dass ich mich damals nicht als Deutscher gefühlt habe und ich mich für Ghana entschieden habe, hat auf jeden Fall damit zu tun. Im Nachhinein betrachtet, finde ich es aber gut, dass Leute wie Gerald Asamoah sich für das deutsche Nationalteam entschieden haben. Sie haben damit einen wichtigen Beitrag geleistet, um zu zeigen, dass man deutsch und dunkelhäutig sein kann. Sie haben sich trotz der vielen Anfeindungen nicht einschüchtern lassen. Es hat lange gedauert, bis das von der Mehrheit akzeptiert worden ist.

Sehen Sie da wieder einen Rückschritt? Zuletzt hat es ja einige Aussagen von AfD-Politikern über die Nationalmannschaft und die Özil-Debatte gegeben.

Es gibt in dem Feld auch positive Dinge, aber man sieht in ganz Europa Tendenzen der Rückwärtsentwicklung. Samuel Eto’o hat einmal gesagt, dass es lustig ist, was die Leute alles vergessen. Dass ihre Vorfahren sich überall ausgebreitet, die ganze Welt ausgeplündert, die Leute versklavt und ihnen alles weggenommen haben. Das ist der Grund dafür, dass es den Menschen in Europa gut geht – und sie beschweren sich, dass die Leute, die nichts haben, ein Stück vom Kuchen haben wollen.

Auch im englischen Fußball gibt es gerade eine Rassismusdebatte, dort will der Verband mehr Diversität bei den Funktionären. In Deutschland ist das kein großes Thema.

Der Vergleich hinkt aufgrund der unterschiedlichen Kolonialgeschichte ein bisschen. In England haben viel mehr Menschen Wurzeln in Afrika, deswegen sollte die Chance viel höher sein, dass jemand durchkommt. Nichtsdestotrotz ist es im Fußball wie in allen Berufen. Ich habe sehr viele deutsche Freunde – weiße und dunkelhäutige. Die Dunkelhäutigen haben es einfach schwerer. Egal ob es um Job, Wohnen oder was auch immer geht – das zieht sich durch die ganze Gesellschaft.

Gibt es eine Aussicht darauf, dass sich das verändern könnte?

Ja, natürlich. Es gibt sehr viele positive Beispiele. Es freut mich sehr, dass Daniel Thioune mit Osnabrück in die zweite Liga aufgestiegen ist. Ich sehe auch an mir selbst, dass Vereine wie Gladbach sehr offen sind. Bei Spielern ist es heutzutage ganz normal, dass eine Mannschaft dunkelhäutige Spieler hat. Das andere wird auch kommen.

Ist das auch ein persönliches Ziel? Wollen Sie einmal einen Bundesligisten trainieren?

Ich schaue ungern zu weit nach vorne. Die meisten Trainer würden gerne einmal eine eigene Mannschaft betreuen, ich bin mit meiner aktuellen Rolle und persönlichen Entwicklung aber sehr zufrieden.

Sie haben zuvor in der Vergangenheitsform darüber gesprochen, dass Sie sich 2005 nicht als Deutscher gefühlt haben – hat sich da etwas verändert?

Ja, schon. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, die Sprache ist die, die ich am besten beherrsche. Ich bin der Kultur sehr verbunden, ich fühle mich als Deutscher mit ghanaischem Migrationshintergrund. Früher habe ich mich so definiert wie die Menschen, die mir begegnet sind. Und die meisten haben mich als Ausländer gesehen – so habe ich mich dann auch betrachtet. Heute bin ich so weit, dass ich mich so sehen kann, wie ich mich sehen will. (Benjamin Schacherl, Jakob Rosenberg, 24.5.2019)