71 Kinderspielplätze wurden auf Pestizide untersucht, auf nahezu der Hälfte wurde man fündig.

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Wien – Der Einsatz von Spritzmitteln sorgt für hitzige Diskussionen in der Landwirtschaft. Ein Gutteil der Bauern in Österreich pocht angesichts erheblicher Ernteausfälle auf eine liberalere Zulassung von Pestiziden. Auch viele Forstbesitzer wollen Schädlingen wie dem Borkenkäfer in ihren Wäldern mit mehr Chemie zu Leibe rücken.

Welche Folgen das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln auf die nahe Umgebung und Unbeteiligte haben kann, erhoben nun internationale Forscher für die Brüsseler Non-Profit-Organisation Pesticide Action Network Europe. Sie prüften 71 Kinderspielplätze in Südtirol auf eine mögliche Kontamination durch Spritzmittel – und wurden fündig: Nahezu die Hälfte der untersuchten öffentlichen Spielplätze war damit belastet.

Zwölf Wirkstoffe

Der Toxikologe Peter Clausing wies in Grasproben zwölf verschiedene Pestizide aus dem Obst- und Weinbau nach. 92 Prozent davon gelten als hormonell wirksam. Sie könnten zu Krankheiten wie Diabetes und Krebs beitragen. Da es für Gras keinerlei Grenzwerte gibt, zog Clausing jene für Erdbeeren, Spinat und Salat heran. Bei Wirkstoffen wie Fluazinam wurde der Grenzwert in zehn Fällen überschritten, teils um das bis zu 26-Fache, sagt er im STANDARD-Gespräch. Auch bei Phosmet war die Konzentration höher als erlaubt.

Viele Proben waren mit mehreren Wirkstoffen kontaminiert, erläutert Clausing. Er gibt zu bedenken, dass ihre Cocktailwirkung in der EU bisher regulatorisch nicht erfasst wird, also weitgehend unerforscht ist. Das Gras auf den Kinderspielplätzen sei nur ein kleiner Ausschnitt der möglichen Exposition, meint der Toxikologe und erinnert an private Hausgärten in der Nähe von landwirtschaftlichen Flächen. Auf Südtirol begrenzen lasse sich die Problematik nicht. Wo Wein- und Obstanbaugebiete an Orte angrenzten, in sie wie Zungen hineinragten, sei Vorsicht angebracht.

Mehr als 300 Meter Abdrift

Verantwortlich dafür ist die Abdrift. Je näher die Anbauflächen an die Spielplätze heranreichten, desto höher war die Pestizidkonzentration, zeigt die Studie, die von den Autoren als weltweit erste ihrer Art bezeichnet wird. Auch Niederschlag, Wind und Sonneneinstrahlung hatten Einfluss auf das Ausmaß der Rückstände, die etwa über die Lunge eingeatmet werden. Die Forscher raten in der Folge zu einem Mindestabstand von 100 Metern zu Agrarflächen, warnen aber davor, dass die Wirkstoffe bei viel Wind auch mehr als 300 Meter weit vertragen werden.

Diese Aspekte seien bei der Anwendung von Spritzmitteln bisher zu wenig berücksichtigt worden. Fazit: Es brauche ein Pestizid-Monitoring – zumindest auf öffentlich genutzten Plätzen in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft.

Grenzwert-Überschreitung

Fritz Prem, der Präsident des europäischen Bioobst-Forums, appelliert dafür, die Ergebnisse der Untersuchungen auch in Österreich ernst zu nehmen. Er geht hierzulande jedoch von einer geringeren Belastung aus, da der Anbau von Obst nicht so stark auf einer kleinen Fläche konzentriert sei wie in Südtirol mit seinen insgesamt 16.000 Hektar an Apfelplantagen, in die oft kommunale Einrichtungen eingebettet seien.

Prem spricht von unveröffentlichten Studien, in denen Südtiroler Kindergartenkinder auf Pestizidrückstände analysiert wurden: Was man im Urin nachwies, soll einzelne Grenzwerte um ein Zigfaches überschritten haben. Landwirte müssten bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln noch mehr hinsichtlich der Risiken sensibilisiert werden, sagt Prem. Abdrift völlig zu verhindern sei unmöglich. Mit neuen Technologien ließe sie sich aber auf zehn bis 20 Prozent reduzieren. Aber rund die Hälfte der österreichischen Apfelbauern habe bisher noch nicht auf modernere Geräte umgerüstet, schätzt Prem. Um das voranzutreiben, sei der Gesetzgeber gefragt.

Schönheit vor Robustheit

Warum erfordern gerade Äpfel und Wein einen derart hohen Spritzmitteleinsatz? Das Ziel der Zucht seien über lange Zeit in erster Linie Geschmack, Optik wie Produktivität gewesen, resümiert Prem. "Die Robustheit des Obstes, seine Anfälligkeit für Krankheiten wie Feuerbrand, Mehltau und Schorf wurden weit hintangestellt." (Verena Kainrath, 23.5.2019)