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Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Dienstagabend an die Politik und an die Bürger appelliert. An die Politik, Verantwortung zu übernehmen und wieder Vertrauen aufzubauen; an die Bürger, nicht zu resignieren und sich die Zuversicht zu bewahren. Eine schwierige Aufgabe, vor allem für die Bürger.

Die Politik und die Politiker machen es den Menschen nicht leicht, ein positives Bild von ihrem Berufsstand, ihren Aufgaben und ihren Ansprüchen zu entwickeln. Es überwiegt die Enttäuschung, bei manchen auch die Abscheu. Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden: die Politiker als Sinnbild von korrupten Menschen, ohne Skrupel, nur den eigenen Vorteil im Auge, bereit, zu den übelsten Mitteln zu greifen.

Es wird nicht leicht, dieses Zerrbild, das da entstanden ist, zu korrigieren und Vertrauen zu schaffen. Viele Politiker sind hochanständig und davon bewegt, etwas Positives für dieses Land und seine Menschen zu gestalten. Nicht alle, das wissen wir, und ob es nur viele oder die meisten sind, ist schwierig zu beurteilen. Lasst uns positiv und optimistisch sein.

Totale Verlotterung auf Ibiza

Kanzler Sebastian Kurz trägt im Augenblick nicht viel dazu bei, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Angesichts der totalen Verlotterung, die das Video von Ibiza offenbart hat, haben die Menschen das Gefühl, die Republik stünde am Abgrund. Kurz nutzt diesen Moment zu billigen Wahlkampfparolen. Das war nicht sonderlich schlau und auch nicht sehr sympathisch. Dass ausgerechnet der Kanzler mitten in der Schockwelle, die durch das Land geht, einen Schmuddelwahlkampf eröffnet, indem er ohne jeden ersichtlichen Beleg immer wieder Tal Silberstein ins Spiel bringt und so der SPÖ indirekt die Schuld an dem Video zuweist, ist billig und in der aktuellen Lage nicht hilfreich. Das heizt die Emotionen weiter an und lässt nichts Gutes erwarten. Kurz ermuntert seine Gegner nahezu, es ihm gleichzutun und in den Schmutz zu greifen.

In einer Situation, in der Kurz die Absetzung durch seine politischen Gegner droht, möchte man meinen, dass er einen Schritt auf die Opposition zugeht, anstatt sie vor den Kopf zu stoßen. Es wirkt, als würde Kurz die anderen Parteien ermutigen, ihm das Misstrauen, das sie ohnedies gegen ihn hegen, im Parlament auch offiziell auszusprechen.

Kurz stellt die Taktik über alles andere

Selbst Politikerinnen wie Beate Meinl-Reisinger, die hart in der Sache, aber in der Auseinandersetzung immer fair geblieben ist, tun sich mit diesem Kanzler schwer: Kurz kommuniziert von oben herab, er bindet nicht ein, er erklärt sich nicht, er sucht nicht den Konsens. Er stellt die Taktik über alles andere. Das stellt den konstruktiven Anspruch, den die Neos so demonstrativ vor sich hertragen, auf eine harte Probe.

Gerade jetzt wäre es an der Zeit, trotz des anlaufenden Wahlkampfes, einen Schritt zurück zu machen, den Dialog zu fördern und an einer Gesprächsbasis mit allen zu arbeiten – mit den anderen Fraktionen, den Interessenvertretungen, den Medien und natürlich mit den Bürgern. Das würde bedingen, im Sinne der Glaubwürdigkeit die eigene Machtverliebtheit für einen Augenblick einzudämmen.

Das mag Kurz schwerfallen. Aber das könnte auch die anderen Parteichefs dazu nötigen, den Anstand, den sich die Bürger erwarten oder erhoffen, unter allem Schutt hervorzukehren. Das wäre ein schöner Überraschungseffekt. (Michael Völker, 22.5.2019)