Am Dienstag waren die Leichen der Frauen in einem Floridsdorfer Gemeindebau gefunden worden.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Wien – Eine Mutter und ihre beiden erwachsenen Zwillingstöchter sind laut Polizei in ihrer Wohnung in Wien-Floridsdorf verhungert. "Eine gerichtliche Obduktion wurde durchgeführt. Nach aktuellem Stand kann von einem Tod durch Verhungern ausgegangen werden", berichtete Polizeisprecher Patrick Maierhofer am Donnerstag.

Der Todeszeitpunkt wird auf Ende März oder Anfang April geschätzt. Erst am Dienstag waren die Leichen der 45-jährigen Frau und ihrer beiden Töchter im Alter von 18 Jahren entdeckt worden.

"Eine erste toxikologische Untersuchung ergab keine Spuren einer Vergiftung. Detailuntersuchungen werden in den kommenden Wochen noch durchgeführt", sagte Maierhofer. Ein Gewaltverbrechen hatten die Ermittler des Landeskriminalamts schnell ausgeschlossen.

"Entwicklungsverzögerungen"

"Es waren schüchterne Kinder, ruhige Mädchen in der Pubertät", beschrieb Andrea Friemel von der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) die Zwillinge. In der Schule seien sie als Integrationskinder geführt worden. Dabei spielte wohl eine nicht näher erläuterte "Entwicklungsverzögerung" eine Rolle. Im Herbst 2016, nicht mehr schulpflichtig, wurden sie von der Schule abgemeldet.

Jugendamt ohne Intervention

Im Dezember 2016 kam die Familie daraufhin auch in Kontakt mit der Behörde. Ehrenamtliche Betreuer aus einem Mentorenprojekt schalteten das Jugendamt ein. Die "Abklärung der Situation" endete im März 2017, ohne dass die MA 11 ab diesem Zeitpunkt noch eine Notwendigkeit für weitere Maßnahmen gesehen hätte. Das Amt habe sich, wie in solchen Fällen üblich, als Ansprechpartner für die Zukunft angeboten.

"Es gab nichts in der Eigenwahrnehmung der Kolleginnen", betonte Friemel. Wohl sei bei den Teenagern eine "Entwicklungsverzögerung" vorgelegen, "die, je älter die Kinder sind, immer augenscheinlicher wird". Über eine schwerere Beeinträchtigung geistiger oder physischer Art finde sich aber nichts in den Unterlagen. Die Zwillinge dürften demnach nicht hilflos gewesen sein. "Wäre so etwas wahrgenommen worden, hätte es automatisch mehr an Unterstützung, auch finanzieller Natur, gegeben." Die alleinerziehende Mutter hätten "finanzielle Themen" augenscheinlich bedrückt.

Seit zwei Jahren ohne Kontakt

Grundsätzlich sei festzuhalten, dass die Betreuung durch die Behörde im Frühjahr 2017 endete. Die Einschätzung des Jugendamts beziehe sich daher auf die Situation von vor zwei Jahren, betonte Friemel. Sie sei sehr bestürzt über den Tod der drei Frauen und habe keine Erklärung. "Es ist seither nichts mehr gemeldet worden", weder von offiziellen Stellen noch aus dem Umfeld oder von Verwandten.

Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe ist unter der Servicenummer 01/4000/8011 von Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr erreichbar. Angehörige, Nachbarn und andere Menschen, die sich um Schutzbedürftige Sorgen machen, können sich an diese Stelle wenden, rief Friemel in Erinnerung.

Psychologe: "Verzerrte Wahrnehmung"

Der Psychologe Cornel Binder-Krieglstein vermutet in dem Fall eine verzerrte Wahrnehmung der 45-jährigen Frau durch eine psychiatrische Erkrankung. Eine Schizophrenie etwa würde erklären, dass die Mutter den Hungertod in Kauf genommen hat, etwa wenn ihr Stimmen dies befohlen hätten. Laut Binder-Krieglstein besteht die Möglichkeit, dass ihr Stimmen gesagt hätten, sie müsse fasten oder etwa nur etwas Bestimmtes essen, um jemandem zu helfen oder Schlimmes abzuwenden. "Dann tut sie das, und aus ihrer Sicht macht sie etwas Gutes, etwas Wichtiges", sagte der Experte.

Diese Störungsbild hätte die Frau vermutlich auf ihre Kinder übertragen. "Das ist ein langer Prozess", so Binder-Krieglstein, in dem auch das Umfeld eine Rolle spielt. Die Frau lebte mit ihren Kindern zurückgezogen, hatte scheinbar wenig Kontakt zu anderen und hat die Mädchen nach der Schulpflicht aus der Schule genommen. Sie habe sich damit eine Struktur – eine eigene Welt – geschaffen, um die Situation so beizubehalten. Die drei gingen laut Nachbarn offenbar meist nur zu dritt außer Haus. Da es sein kann, dass nicht alle drei zur gleichen Zeit verhungert sind, stellt sich die Frage, warum nicht eine der Frauen Hilfe holte. (APA, 23.5.2019)