Statt immer weiter nur die Erfolge der Vergangenheit zu bewerten, benötigen wir in der gegenwärtigen Arbeitswelt ein radikales Umdenken hin zur potenzialorientierten Analyse.

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Die Arbeitswelten haben sich – wir wissen es – in den vergangenen Jahren massiv geändert. Und sie werden diesen Wandel noch stärker und schneller fortsetzen. Gleichzeitig wird der Mangel an Fachkräften in vielen Ländern Europas auch bei abflauender Konjunktur nicht nachlassen – die demografische Kurve sorgt dafür. Das stellt zwei Fragen in den Mittelpunkt. Erstens: Welchen Typ Manager brauchen wir künftig – oder eigentlich sofort.

Zweitens: Wie denken und ermöglichen wir Karrieren? Das Bild der Karriereleiter hat wohl ausgedient. Es geht um lebenszyklusabhängige Karriereplanung und um Potenzialorientierung. Damit entspricht wohl eher das Bild einer Bergwanderung der neuen Karriere: starke Anstiege, Marschieren auf Plateaus, Zwischenstopp beim Aussichtspunkt. Dann wieder Abstiege, andauerndes Gehen durch Ebenen. Pause. Anstieg, wieder runter ins Tal.

Alte Methoden für neue Ziele?

Das passt gar nicht zur gegenwärtigen Praxis in der Personalauswahl und in der Personalpraxis. Es ist eigentlich fahrlässig, wie unsere Arbeitsgesellschaft mit den Ressourcen der Menschen umgeht. Wir verbrennen junge, teilweise hochtalentierte und engagierte Leute, weil sie Karriere und Familie nicht oder nur sehr schwer vereinbaren können. Andererseits stoßen wir hocherfahrene Mitarbeiter in die Altersteilzeit oder in die Pension – aus dem schlichten Grund, weil sie eine gewisse Altersgrenze an Lebensjahren erreicht haben. Wir tun das, ohne auch nur irgendeine Rücksicht darauf zu nehmen, welche Möglichkeiten für beide Seiten noch gegeben wären.

Hier bedarf es eines radikalen und generellen Umdenkens – nicht nur im Unternehmensmanagement, sondern in der gesamten Gesellschaft. Außerberufliche Erfahrungen wie etwa Kindererziehung, freiwillige Engagements oder Sabbaticals sind natürlich ebenso ein Asset wie Erfahrungen in anderen Branchen, Rollen und Funktionen. Um zukünftige Anforderungen erfüllen zu können, brauchen wir gerade im Management Menschen, die neben breiter Ausbildung auch verschiedene Erfahrungen in ganz verschiedenen Rollen und Branchen haben.

Daher greifen auch die meisten Auswahlverfahren und Prozesse zu kurz oder gehen in die falsche Richtung: Solche rein vergangenheitsorientierten Analysen und Interviewtechniken zeigen ja nur, was jemand in einem bestimmten Kontext in der Vergangenheit konnte oder nicht konnte. Aber nicht, was er könnte, welche Potenziale in diesem Menschen stecken.

Testen und abhaken reicht nicht

Ähnlich ist es im klassischen Assessment-Center: Dort wählt man Kandidatinnen und Kandidaten aus, die das Assessment-Center gut überstehen. Ebenso wie konventionelle Persönlichkeitstests, die in sich immer den Makel der sozial erwünschten Antwort tragen.

Diese Methoden sind nicht allesamt gänzlich falsch. Aber sie müssen erweitert werden um die Methoden der modernen Persönlichkeitsanalyse und durch künstliche Intelligenz und Big Data. Diese erlauben uns beispielsweise, durch Sprachanalyse tiefere Einblicke in die jeweilige Persönlichkeit zu erlangen und Potenziale sichtbar zu machen.

Diese neuen Technologien bieten uns neue Möglichkeiten. Digitalisierung ist auch hier eine Chance für die Weiterentwicklung der Personalarbeit und des Managements. Entscheidungen werden uns dadurch nicht abgenommen. Aber wir können sie effizienter, informierter und nachhaltiger zum Wohle beider Seiten treffen. Das ist auch dringend nötig. Denn was für das Bild der Karriere gilt, gilt ebenso für jenes des Managements. Die Metapher des Marionettenspielers, der seine Puppen brav tanzen lässt, war für lange ein Abbild von Erfolg im Management. Und solange Unternehmen streng hierarchisch geordnet waren, war das vielleicht sogar stimmig.

Spätestens seit den Nullerjahren des neuen Jahrtausends ist diese Metapher letztendlich überholt. Leider ist sie in vielen Köpfen, auch in jenen der Personalmanager, noch verankert.

Weiter Fachexperten in die Führung?

Tatsache ist allerdings, dass sich die Millennials eine Work-Life-Balance wünschen, dass sinnvolle Tätigkeiten in einem wertschätzenden Rahmen nachhaltig motivieren und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefordert und gefördert werden wollen. Das zwingt uns dazu, auch für das Management ein neues Bild zu installieren und damit auch neue Methoden für die Auswahl von Führungspersonen einzusetzen. Nicht selten ist es auch für Führungsfunktionen ausschließlich so, dass der Track Record der Vergangenheit angesehen und bewertet wird.

So werden weiterhin festgefahrene Karrierepfade ausgetrampelt und es kommen weiter die besten Fachleute in die Führungsrollen. Dabei wird leider permanent übersehen, dass Management und Führung eigene Disziplinen sind. In Zeiten des agilen Arbeitens und des disruptiven Wandels müssen wir daher eher die Metapher des Fußballtrainers für das Management heranziehen. Die Aufgabe liegt demnach darin, das Team so zusammenzustellen und zu konfigurieren, dass die Potenziale der Einzelnen bestmöglich erkannt und genutzt werden können.

Natürlich muss Management den Spielern auch ermöglichen, zu spielen und ihr Bestes zu geben. Klare Regeln und klare Rollen für jedes Spiel gehören dazu. Auch hier wissen wir: Meistens ist nicht der beste Spieler der beste Trainer, sondern andere Persönlichkeitstypen performen in der Trainerrolle einfach besser. Wer seinem Potenzial gemäß arbeitet, arbeitet gut und gerne. Das ist der Gewinn für beide Seiten. Die Möglichkeiten der Digitalisierung helfen dabei. (Markus Brenner, 28.5.2019)