Sibylle Berg ist eine der erfolgreichsten Dramatikerinnen. Ihr jüngstes Stück "Hass-Triptychon" hat bei den Wiener Festwochen Uraufführung im Volkstheater.

Ihr Twitter-Account trägt den Titel "Kaufe nix, ficke niemanden" und spielt auf die kapitalistisch ausgeschlachtete Idee von Liebe an. Und auch sonst bringt die Schriftstellerin Sibylle Berg vieles schnell auf den Punkt. Wobei: Ihr letzter Roman GRM, die als hellsichtige Weissagung gepriesene Dystopie eines nahe liegenden Überwachungsstaates, zählt dann doch 640 Seiten. Sie lesen sich indes geschwind. Der Text hat Tempo und Beat und schöpft seine deformierten Sprechweisen aus der wachsenden virtuellen Welt.

Bergs Vokabular befindet sich immer auf der Diskurshöhe unserer Zeit: "genderfluid", "Low-Performer", "Influencer-Nutten". Das hat damit zu tun, dass Berg wie kaum eine Schriftstellerin am Tropf der Gegenwart hängt. Berg saugt Nachrichten gierig auf, um sie zu bewerten. Und sie ist sich auch nicht zu gut, sich via Twitter zeitintensiv mit anonymen Followern auszutauschen. Derzeit wird sie nicht müde, auf verschiedene Weise zur EU-Wahl aufzurufen.

Nichts stimmt

Sibylle Berg gehört heute zu den meistgelesenen Autorinnen und Kolumnistinnen des deutschsprachigen Raums. Ihre Werke wurden in 34 Sprachen übersetzt. Sie selbst ist ihre beste PR-Agentin, auch wenn man in ihren öffentlichen Auftritten (von Neo Magazin Royale bis Willkommen Österreich) bisweilen einen Widerwillen spürt, sich selbst außerhalb der eigenen Literatur zu Markte zu tragen. Denn: Es sei ohnehin alles gesagt. Und außerdem: Nichts von dem, was sie sage, stimme. So schützt sie das eigene Denken durch den Panzer einer Star-Persona. Es funktioniert prächtig.

Sibylle Berg, die in der DDR aufgewachsene und mit einer zerrütteten Kindheit (alkoholkranke alleinerziehende Mutter) konfrontierte, heute in Zürich und Tel Aviv wohnhafte Schriftstellerin, hat sich selbst erfunden. Vor über zwanzig Jahren hat sie mit abgründigen Beziehungsgeschichten das Publikum im Sturm genommen. Damals ätzten Feuilletons noch über die läppischen "Kolumnenthemen" der Autorin, heute müssen sie einbekennen, dass hinter diesen Kolumnenthemen – etwa im Debütroman Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot (1997) – die Monster des Neoliberalismus scharf konturiert hervorleuchteten.

Höllenfürstin des Theaters

Berg wurde fortan mit den knackigsten Begriffen tituliert, die der Literaturbetrieb so hergibt: "Kassandra des Klamaukzeitalters", "Designerin des Schreckens" oder "Höllenfürstin des Theaters". Dem Theater ist Berg schon bald zugelaufen, angezogen von Regisseuren wie René Pollesch oder Alain Platel. Aber auch wegen der berechenbareren Verdienstmöglichkeiten. Heute hätte sie das nicht mehr nötig, macht für die Bühne aber trotzdem weiter.

Und wie: Derzeit fluten ihre Stücke die Spielpläne österreichischer Bühnen: Schauspielhaus Graz, Phönix-Theater Linz und Volkstheater Wien hatten allein seit Jahresbeginn Premieren auf dem Plan. Die Wiener Festwochen setzen nun mit der Uraufführung von Hass-Triptychon der Spielserie das Krönchen auf. Die Koproduktion mit dem Gorki-Theater Berlin inszeniert der wie eine heiße Kartoffel herumgereichte junge Regisseur und Anwärter für die Direktion des Volkstheaters Ersan Mondtag. Ebenda läuft das Stück von 24. bis 26. Mai.

Homosexueller Kindergärtner

Darin moderiert ein "Führer" die Hassbekundungen diverser Zeitgenossen, von der Teilzeit-Alkoholikerin bis zum Mann in den besten Jahren im Großraumbüro, von jungen Menschen aus der Generation Z bis hin zu einem älteren homosexuellen und vermutlich genau deshalb arbeitslosen Kindergärtner. Zivilisationsekel und Mitleidlosigkeit schreibt man Sibylle Berg zu. Der kalte Wind des Zynismus bläst einem unnachgiebig beim Lesen und auch von der Bühne entgegen. Diese Härte verhängte Berg über ihre Kunst von Beginn an. (Margarete Affenzeller, 24.5.2019)