"Österreich. Das Land. Wir alle. Unsere Lebenswelten. Unsere Tätigkeiten. Alles nur ein Objekt. Manipuliermasse", schreibt Streeruwitz. "Diesmal Kurz" war die Regierungsperiode von Türkis-Blau.

Foto: Imago / Bildagentur Mühlanger / Roland Mühlanger

Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist", dudelt es aus dem Bordlautsprecher des AUA-Flugzeugs. Wir haben schon den ganzen langen Donauwalzer hören müssen und sind beim Fledermaus-Potpourri angelangt. Der Flieger ist zu früh in Frankfurt angekommen. Die Parkposition ist besetzt. Wir stehen weit draußen auf dem Flughafen. Wir warten. Und weil dieser Refrain aus dem Lautsprecher so oft wiederholt wird, fällt einer auch der ganze Text ein.

Und der passt perfekt.

In der Fledermaus. Herr von Eisenstein verabschiedet sich von seiner Frau. Er gibt vor, ins Gefängnis zu müssen. Rosalinde schenkt ihm ein Glaserl ein, und es wird gesungen, "gibt der Wein dir Tröstung schon durch Vergessenheit!". Und dann der Refrain. "Glücklich ist, wer ..."

Herr von Eisenstein betrügt seine Frau und geht statt ins Gefängnis zum Champagnerfest des Prinzen Orlovsky. Die Ehefrau Rosalinde betrügt ihrerseits ihren Mann und geht auch zum Champagnerfest des Prinzen Orlovsky. Ihr Hausfreund wird vorher noch anstelle ihres Mannes ins Gefängnis abgeholt und so der Gefängnisdirektor betrogen. Der Gefängnisdirektor wiederum begibt sich auf dem Champagnerfest des Prinzen Orlovsky mit dem Stubenmädchen der Eisensteins in eine #MeToo-Situation. Betrug. Missbrauch. Alkohol. Und geniale Musik.

Ehrenmänner ohne Ehre

Also. Die Fledermaus. Das ist gängige Unterhaltung. Der Ibiza-Skandal fand in einer weit entfernten Parallelwelt statt. Und doch. Und doch. Die Feier des Betrugs. Die Selbstverständlichkeit des Missbrauchs. Die Großartigkeit im Überwertigen. Die kühne Verfügung über öffentliche Resourcen. Das Geschick im Lügen. Das Glänzen im Prahlen. Korruption nur eine andere Choreografie. Ehrenmänner ohne Ehre. Kindische Weltsichten. Verlogene Lügen. Alkohol. Nur die Kostüme stimmen wirklich nicht. Aber. Es ist das Grundmuster des Dramatischen. Die Verstellung. Machiavelli hat dazu schon eine Ethik entwickelt.

Und im Ibiza-Video. Da sehen wir die Vorbereitung dafür. Für die Verstellung. Strache und Gudenus hätten nur sagen müssen, sie wären bei einem Theaterworkshop auf Ibiza gewesen. Sie hätten da die Fledermaus weiter improvisiert. Der Prinz Orlovsky war ja schon im Original eine russian collusion. Heute muss es halt eine Oligarchentochter sein. Und gab es da nicht ohnehin Champagnergläser. Also!

Nun sind wir also zum Publikum dieses Drama-Workshops gemacht worden. Man hat uns einen Probenmitschnitt gezeigt. Die Aufführung sollte dann auf der politischen Bühne so stattfinden, dass wir von dieser Probe keine Ahnung mehr haben hätten sollen. Ganz normales Schauspiel ist das. Keine Erinnerung an die Probensituationen darf die Aufführung mehr erreichen. Die perfekte Oberfläche darf nichts mehr von den Tiefen der Proben erahnen lassen.

Wir als Manipuliermasse

Diese Aufführung. Die müssen wir uns jetzt vorstellen. Und darin liegt das Unsägliche. Der intendierte Betrug. Österreich. Das Land. Wir alle. Unsere Lebenswelten. Unsere Tätigkeiten. Alles nur ein Objekt. Verdinglicht. Manipuliermasse. Nur. Verachtung zerstört die Verachter. Die für die Verachtung notwendige Vorstellung der eigenen Überwertigkeit. Die macht dumm. Das lässt sich ablesen. Aber doch. Aber doch. Es hätte funktionieren können.

Wir sind davongekommen. Der Plot der Fledermaus, der in allen österreichischen Satiren und Komödien bis heute weitergesponnen worden ist. Der Plot, in dem genau die auf Ibiza entworfenen Handlungen und Vorgänge immer schon vorgeführt wurden, das Lachen schon fast nicht mehr garantieren konnten. So abgebraucht ist das Thema Korruption hierzulande. Dieser Plot hätte unsere Wirklichkeit werden können. Dieser Betrug unser Schicksal werden.

Wenn einer oder eine einen solchen Betrug entdeckt. Wenn es offenkundig wird, dass die Gewalt des Betrugs gegen eine oder einen angewandt worden war. Wenn es sich dann um massive, strukturelle Gewalt handeln soll. Zunächst ist da der Schock der Erkenntnis. Und dann die Reaktionen. Trauma ist es allemal. Ein solches Ereignis im Kollektiven erlebt. Da bleibt die Reaktion diffus.

Kleinsadistische Politik

Und zuerst einmal. Es war ja ein Gefühl der Befreiung, das die Rücktritte auslöste. Das Drohende, das auf Ibiza formuliert worden war. Unbewusst wussten wir das. Es war nicht nur die kleinsadistische Politik vor allem des FPÖ-Innenministers, die das Unbehagen hervorrief. Es war Drohendes, das weit über die Täglichkeiten hinausging. Jetzt wissen wir den Grund dafür. Unbewusstes Wissen voneinander wurde durch diese Aufdeckung zur eindeutigen Erkenntnis, dass es um Vernichtung gegangen war. Vernichtung von Anderem und Anderen und die Herrschaft daraus und darüber.

Was tun. Wie weiter. Am besten wäre wohl eine Therapie für alle. Zuerst einmal die Politiker. Der Betrug muss ja den ÖVP-Bundeskanzler persönlich treffen. Und bei Gewalt in der Familie. Und familiär. Das ist ja der Unterschied zu den großen Koalitionen. Die großen Koalitionen waren vertraglich begründete Zwangsgemeinschaften, in denen die Schnittmengen erst hergestellt werden mussten.

Gemeinsame Schnittmenge

Die Koalition ÖVP/FPÖ entstand schon aus einer gemeinsamen Schnittmenge. Da musste nicht so genau geredet werden. Da war ein Verständnis voneinander schon vorausgesetzt. Da saß Strache familiär neben Kurz, und die beiden nickten so einander bestätigend vor sich hin. Zwar. Es wusste immer jeder und jede, dass Kurz auf eine Gelegenheit wartete, die Macht an sich zu reißen. Eine kleine Ungeduld war da zu spüren, wenn Strache neben ihm sprach. Aber. Persönlich war es allemal. Diese beiden Männer haben viel Zeit miteinander verbracht. Die sind viel und lange miteinander herumgesessen. Und in den Medien. Es wird von "Scheidung" gesprochen. "Rosenkrieg." Das Familiäre ist offenkundig.

Bei Gewalt in der Familie. Was da zu tun ist. Das ist auf der Homepage der Gemeinde Wien sehr schön angeführt. Bei Betroffenen kann es unter anderem zu folgenden körperlichen Reaktionen kommen: "Herz-Kreislauf-Beschwerden. Diffuse Schmerzen. Leistungsabfall. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen." Und so weiter. Und so weiter.

Die Frage ist doch, wie einer das bewältigen soll. Politiker sein. Politikerin. Das ist anstrengend. Krisen dieser Art. Das Bundeskanzleramt weiß wiederum auf der eigenen Homepage dazu Genaueres: "Psychische Gewalt erleben Männer von ihren Partnerinnen und Partnern in Form von Kränkungen und Demütigungen verbaler Art. Als besonders bedrohlich wird das In-Frage-Stellen der eigenen Männlichkeit erlebt." Und gleich wird Hilfe angeraten: "In allen Bundesländern können Sie in Männerberatungsstellen Unterstützung bei der Aufarbeitung eigener Gewalterfahrung oder bei der Auseinandersetzung mit eigener Gewalttätigkeit bekommen."

Zornig und nachdenklich

Bei Gewalt in der Familie sollten immer alle Mitglieder in die Therapie miteinbezogen werden. Täter wie Opfer. Auf die Ibiza-Affäre bezogen, bedeutete das, dass alle Regierungsmitglieder in die Therapie müssten. Und wie das bei solchen Vorgängen üblich ist, sollten die diversen Waffenscheine entzogen und die Waffen aus den Wohnungen der Täter entfernt werden. Die Wega wäre da zuständig.

Und wir. Die intendierten Opfer. Wir bräuchten auch Therapie. Alle Österreicherinnen und Österreicher sollten sich äußern können. Zornig. Beleidigt. Verletzt. Zynisch. Nachdenklich. Und auch das Verständnis für Ibiza sollten wir zu hören bekommen. Aller Frust sollte hörbar werden. Und dann überlegen wir, wie wir da herauskommen können und wieder Vertrauen fassen. In die Politik. Wie alles geändert werden kann und deshalb nicht vergessen werden muss.

Oder. Wir gehen wenigstens demonstrieren. Da gibt es Zuspruch. Zuwendung. Entlastende Gespräche. Und Gehen. Das heißt ja auch etwas hinter sich lassen. Dem subtil unserer Kultur unterlegten Subplot des Fledermäusischen davongehen. Aber bewusst. Und nichts vergessend. (Marlene Streeruwitz, 25.5.2019)