Viele Mädchen haben Angst, verurteilt zu werden, wenn sie nach Verhütung fragen, weiß Doris Burtscher aus ihren Interviews.

Foto: Ärzte ohne Grenzen

Weltweit sterben jedes Jahr 47.000 Frauen an unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Derzeit ist auch in der sogenannten westlichen Welt der Zugang zu einem medizinisch sicheren Schwangerschaftsabbruch bedroht. Der US-Bundesstaat Alabama beschloss das radikalste Abtreibungsgesetz der USA – und andere Bundesstaaten ziehen nach. Kein Abbruch mehr nach der sechsten Schwangerschaftswoche und hohe Haftstrafen für Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibung anbieten oder durchführen, sorgen für US-weite Proteste für den Schutz reproduktiver Rechte von Frauen. Die Medizinanthropologin Doris Burtscher von Ärzte ohne Grenzen hat in der Demokratischen Republik Kongo über die Wahrnehmung von Abtreibungen und die Folgen unsicherer Schwangerschaftsabbrüche geforscht.

STANDARD: Wie ist die rechtliche Situation in der Demokratischen Republik Kongo?

Burtscher: Als ich die Studie 2017 durchgeführt habe, war ein Schwangerschaftsabbruch nur erlaubt, wenn das Leben der Frau durch die Schwangerschaft in Gefahr war – und das musste von drei Ärzten bestätigt werden. Inzwischen wurden Abbrüche von Schwangerschaften als Folge einer Vergewaltigung legalisiert. Fest steht, dass viele Frauen in einer derart schwierigen Lebenssituation einen Abbruch machen – auch wenn er nicht legal und medizinisch nicht sicher ist.

STANDARD: In welcher Situation sind die betroffenen Frauen?

Burtscher: Ungewollte und ungeplante Schwangerschaften passieren verschiedensten Frauen – manche sind sehr jung, andere werden in ihrer Ehe ungeplant schwanger. Und die ökonomische Situation spielt eine große Rolle: Junge Frauen gehen bestimmte Beziehungen ein, um zu überleben. Sie tauschen ihren Körper gegen Unterstützung in jeglicher Form. Das kann Essen sein oder Schulgeld. Solche Beziehungen werden meist von den Männern irgendwann abgebrochen, und junge Mädchen stehen dann oft mit ihrer ungewollten Schwangerschaft allein da. Sie dürfen schwanger nicht mehr in die Schule oder werden von der Kirche ausgeschlossen.

STANDARD: An wen wenden sie sich dann?

Burtscher: Eine Schwangerschaft, ohne verheiratet zu sein, ist ein großes Stigma. Sie versuchen heimlich mit Cousinen, Tanten oder Freundinnen zu reden. Menschen, von denen sie meinen, sie könnten ihnen weiterhelfen. Um eine Schwangerschaft abzubrechen, führen sich Frauen Äste ein und versuchen so die Zervix zu öffnen, um die Schwangerschaft zu beenden. Andere trinken stark gesalzenes Wasser oder konsumieren bestimmte Pflanzen, die dafür bekannt sind, dass sie Kontraktionen auslösen. Kurz: Sie versuchen alles, wenn sie die Schwangerschaft nicht wollen. Die Folgen reichen von septischem Schock über Unfruchtbarkeit bis hin zum Tod.

STANDARD: Ist auch Verhütung ein großes Tabu?

Burtscher: Ja, deshalb muss das Erste sein, Verhütungsmethoden zur Verfügung zu stellen, zu informieren – viele Mädchen haben Angst, nach Verhütung zu fragen. Sie könnten ja verurteilt werden, weil sie noch keinen Sex haben dürften und so weiter. Bis vor kurzem war es bei der Verhütung auch eine enorme Erschwernis, dass eine verheiratete Frau die Einwilligung ihres Mannes brauchte, um Verhütungsmittel zu bekommen, und dass Mädchen erst ab 18 Jahren Verhütungsmittel bekommen durften. Diese Gesetze wurden jetzt entschärft. Oft bleibt Ärzte ohne Grenzen trotzdem nur, die Folgen eines selbst durchgeführten Schwangerschaftsabbruchs zu mildern.

STANDARD: Was können Sie mit Ihrer Forschung bewirken?

Burtscher: Die Ergebnisse aus den vielen Gesprächen mit betroffenen Frauen haben wir als Bericht an den Gesundheitsminister übergeben. Der Bericht spiegelt wider, wie es der Bevölkerung in jenen drei Gebieten geht, in denen ich geforscht habe. Wie es den Frauen, Männern, dem Gesundheitspersonal, Opfern von sexueller Gewalt und sogenannten "teenage mothers" geht. Sie müssen sich das vorstellen: Eine junge Frau geht eine Bekanntschaft ein, um ihr Schulgeld zahlen zu können. Manchmal weiß das ihre Familie auch, sie akzeptiert es, weil sie weiß, dass ein wenig Geld reinkommt. Dann wird sie schwanger, steht allein da, hat kein Geld, um sich jemanden zu suchen, der ihr illegal hilft – und dann sucht sie sich wieder jemanden, der das bezahlt. Die Mädchen gehen aus solchen Beziehungen mit einer Schwangerschaft raus – und sind dann manchmal auch noch HIV positiv. (Beate Hausbichler, 24.5.2019)