Der bürgerliche Name, ein Führungsinstrumen im Internet?

Foto: https://www.istockphoto.com/at/portfolio/ilyaska

Wir sind hasserfüllt, heißt es. Aber nur dort, wo wir es bedenkenlos sein können. In den eigenen vier Wänden. An der Tastatur. Im rechtsfreien Raum des Internets zeigen wir in anonymisierter Form unser wahres Gesicht.

Aber wie kann der führungsbedürftige Österreicher im rechtlichen Vakuum vor sich selbst geschützt werden? Eine entbehrliche Frage, für die sich eine pragmatische Antwort fand: mit dem bürgerlichen Namen. Er soll die Hundekette werden, an der sich der Generalverdächtige im Begriffshof des nötigen Anstandes führen lässt. Die Aussicht auf eine erleichterte Verfolgung allen Fehlverhaltens soll ihn sorgfältig, verantwortungsbewusst und respektvoll werden lassen.

Grundrechtliche Garantie

Entsprechend entschlossen fielen die Reaktionen aus: Ein derartiges Gesetz verstoße nicht nur "gegen EU-Recht als auch gegen österreichische Grundrechte", so der IT-Rechtsexperte Lukas Feiler, sondern widerspreche darüber hinaus einem "Menschenrecht der Anonymität", wie der Rechtsanwalt Alfred J. Noll im Nationalrat sagte. Der geneigte Leser setzt seine gedanklichen Häkchen: rechtskonservative Regierung, EU-Rechtsverstoß, Grundrechtsverstoß, Menschenrechtsverstoß. Klingt schon ganz richtig. Eine rechtliche Totgeburt also? Greift die österreichische Grundrechtsordnung dem staatlichen Eingriff zuvor?

Lässt sich eine Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit erkennen? Weder werden Äußerungen verboten noch Bekenntnisse zu bestimmten Inhalten vorgeschrieben. Die Willensbildung und -äußerung bleibt dem Verfasser frei. Innerhalb der gesetzlichen Schranken – die bereits auf das Minimum der strafrechtlichen Relevanz und zivilrechtlichen Schädigung reduziert wurden – bleibt die grundrechtliche Garantie unbeschadet. Zur Errichtung eines derartigen Rahmens ist der Gesetzgeber auch nach der Europäischen Menschenrechtskonvention berechtigt.

Übermäßige Selbstzensur

Hier wird eingewendet werden können, dass der freie Meinungsaustausch durch eine übermäßige Selbstzensur beeinträchtigt sein wird. Entgegnen lässt sich dem, dass die Meinungsfreiheit gerade dem mit einer öffentlichen Meinungsäußerung verbundenen persönlichen Risiko Rechnung trägt. Dabei garantiert sie nie die Abwesenheit jeglichen Risikos, sondern die von willkürlichem staatlichem Zwang.

Verstößt der Entwurf gegen das Recht auf Privat- und Familienleben? Dabei bedarf es wohl einer differenzierten Betrachtung: Wer intimste Details bewusst – etwa durch das Posten auf Facebook – einer nicht abgeschlossenen Anzahl an Personen mitteilt, wird für derartige Tätigkeiten dieses Freiheitsrecht nicht in Anspruch nehmen können. Ebenso scheiden dabei das Brief- und Telekommunikationsgeheimnis aus. Was aber, wenn die Anzahl der Adressaten geschlossen ist? Ein Forum als "virtueller Stammtisch"? Eine Whatsapp-Gruppe? Was soll dabei für Partnerbörsen gelten?

Anspruch auf Anonymität

Das Grundrecht auf Datenschutz garantiert die Geheimhaltung personenbezogener Daten. Im Rahmen des abgeschlossenen Registrierungsprofils weitergegebene Daten sind nach den Grundsätzen des DSG zwar umfassend geschützt. Das Regelungswerk wacht aber lediglich über bereits gesammelte Daten. Ein (grundrechtlicher) Anspruch auf Anonymität beim Vertragsabschluss besteht nicht.

Diese nüchterne Feststellung trifft den Kern der Sache. Denn hinter der Frage, welche Grundrechte gegen diese Regierungsvorlage eingewendet werden können, erhebt sich eine viel bedeutsamere: Sollen wir uns nach eigenem Belieben anonym äußern können dürfen? Gibt es ein Menschenrecht auf Anonymität? Ein solches sucht sich in den gegenwärtigen Grundrechtskatalogen vergeblich. Auch wird es kaum aus einer einfachgesetzlichen, zivilrechtlichen Bestimmung abzuleiten sein.

Drei Forderungen

Es bleibt ein schaler Geschmack. Auf der einen Seite sieht eine Regierung, die immer dann die Eigenverantwortung des Bürgers betonte, wenn sie ihn einschränkte, ob der Versuchung von "rechtsfreien Räumen" plötzlich konkreten "Erziehungsbedarf". Auf der anderen fällt Kritikern im passenden Moment immer noch ein weiteres Menschenrecht ein.

Am Ende können zumindest hinsichtlich des Entwurfs des SVN-G vor einem grundrechtlichen Hintergrund drei Forderungen formuliert werden:

Vom Gesetzgeber: Besonnenheit bei der Auswahl der Regelungsbereiche und Sensibilität bei Umsetzung der geplanten Rege – der Kerngedanke unserer grundrechtlichen Tradition lehrt uns, dass nicht jeder Lebensbereich staatlichen Reglements bedarf, vor allem sollte bei Geregeltem nicht von der generellen Führungsbedürftigkeit des Rechtsunterworfenen ausgegangen werden.

Von den oppositionellen Parteien: einen konservativeren Umgang mit Grund- und Menschenrechten – ihre zunehmende Verwässerung schadet allen.

Von der Politik als Ganzem: eine Diskussion über die Grundrechte eines digitalisierten Zeitalters – oder deren Grenzen. (Michael Eschlböck, 3.6.2019)