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Stolz, energisch, feurig: Sopranistin Angela Gheorghiu

Foto: AP / Jonathan Short

Es sind nicht immer nur die Sternstunden, die erinnerlich sind, wenn man die letzten zwei Jahrzehnte als Besucher der Wiener Staatsoper Revue passieren lässt. Es gab auch Abende, die aufgrund von Hoppalas, spontanen Fluchtversuchen oder divaesken Umtrieben unvergesslich geblieben sind.

Beim Stichwort Diva fällt einem spontan der Name Angela Gheorghiu ein. Warum nur? Unter anderem, weil man die rumänische Starsopranistin an der Wiener Staatsoper wiederholt als eine Tosca erleben durfte, die so war, wie eine berühmte Sängerin (gemeint ist Floria Tosca, nicht Gheorghiu) eben sein muss: stolz, energisch, feurig wie ein nervöser, edler Vollblüter. Nun begab es sich, dass Gheorghiu im April 2016 am Haus eine Aufführung mit Jonas Kaufmann als Cavaradossi zu singen hatte. Der Applaus nach Kaufmanns Elucevan le stelle war so langandauernd und intensiv, dass sich dieser spontan entschloss, die Arie zu wiederholen. Als er sie zum zweiten Mal beendet hatte und seine Geliebte eigentlich in der Dämmerung auf der Engelsburg hätte erscheinen sollen, erschien sie nicht.

Bühnenflucht

Das Orchester spielte noch etwas weiter, Kaufmann improvisierte singend ein leises "Non abbiamo il soprano", und kurz danach musste die Aufführung abgebrochen werden. Nach der vielleicht längsten Minute in Kaufmanns Opernkarriere fand sich die abgängige Sopranistin wieder und Tosca und Cavaradossi konnten kurz danach getrennt ihre Bühnentode sterben. Der sensible Künstlerfreund versteht Gheorghius Absenz: Niemand konnte wissen, ob der deutsche Tenor seine Arie nicht noch ein drittes oder viertes Mal singt – er schien ja bei Laune zu sein.

Wie Angela Gheorghiu hat auch Plácido Domingo an der Wiener Staatsoper Triumphe gefeiert – aber er musste auch die eine oder andere Tragödie erleben. Im November 2003 versagte dem Tenor in einer Aufführung von Umberto Giordanos Fedora bei seiner ersten großen Arie die Stimme, er flüchtete von der Bühne. Der Vorhang fiel, Direktor Ioan Holender trat vor Selbigen und bat das Publikum um Entschuldigung sowie um eine Viertelstunde Pause. Trotz einer spontan attestierten Bronchitis konnte Domingo die Aufführung zu Ende singen. Ob es dieser Abend war, der beim berühmten Tenor Überlegungen keimen ließ, seine Karriere auf eine weniger strapaziöse Weise als Bariton zu finalisieren? Gut möglich.

Rettende Aktufer

Doch Domingo war an der Wiener Staatsoper ja nicht nur als Tenor und Bariton, sondern auch als Dirigent tätig. Im Jänner 2017 dirigierte der Spanier etwa eine Aufführung von Puccinis Tosca (ohne Angela Gheorghiu). Der erste Auftritt Scarpias ließ auch Opernunerfahrene aufhorchen, weil die Blechbläser und die Streicher, mangelhaft koordiniert, das Werk nicht wie gewohnt synchron, sondern zeitversetzt interpretierten – was Puccinis spätromantischer Musik schlagartig eine avantgardistische Prägung verlieh.

Die Musiker fielen der Reihe nach vom Glauben ab, dass man noch zu einem harmonischen Miteinander finden könnte, die Töne aus dem Orchestergraben wurden immer spärlicher. Eine Fermate Puccinis rettete die Aufführung vor dem Abbruch: Aus diesem ruhigen Hafen konnte im Gleichschlag zum rettenden Aktufer aufgebrochen werden. Die Aufführung ging nach diesen und weiteren Turbulenzen übrigens laut beklatscht zu Ende – wie auch die vorher geschilderten. Wer einen so reich beschenkt wie die Staatsoper, dem verzeiht man alles. (Stefan Ender, 25.5.2019)