Seine Ablöse würde in der Bevölkerung nicht auf Verständnis stoßen, glaubt Bundeskanzler Sebastian Kurz.

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Der Bundeskanzler schließt eine neuerliche Koalition mit der FPÖ nicht dezidiert aus, sieht derzeit aber eine Koalition zwischen SPÖ-Chefin Rendi-Wagner und FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl.

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Kurz über die Auftraggeber des Videos: "Ich habe einen Verdacht, der deckt sich auch mit den Indizien und Tatsachen, die jetzt Schritt für Schritt an die Öffentlichkeit gelangen."

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STANDARD: Am Montag droht ein Misstrauensantrag. Stand heute: Es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der durchgeht. Damit wären Sie Ihr Amt vorläufig los. Ist das eine erschreckende Perspektive für Sie?

Kurz: Ich habe in meiner politischen Tätigkeit nie das Ziel verfolgt, ein Amt innezuhaben, sondern für das Land etwas daraus zu machen. Ich bin stolz auf die inhaltliche Arbeit, auf die Reformpolitik des letzten Jahres. Ich habe mich seit den Enthüllungen von letztem Freitag darum bemüht, alles beizutragen, um für volle Aufklärung und Stabilität in Österreich zu sorgen.

STANDARD: Bei den Oppositionsparteien hat das keinen sonderlichen Eindruck hinterlassen. Wäre es nicht schlau gewesen, schon früher einen Schritt auf die Opposition zuzumachen und sie mehr einzubinden?

Kurz: Die Oppositionsparteien waren stets eingebunden, ich habe mit den Chefs aller Oppositionsparteien Kontakt gehabt und mit der Chefin der sozialdemokratischen Partei einen besonders engen Austausch gepflegt. Auch wenn das von der SPÖ anders dargestellt wird, ich habe gleich nach dem Gespräch mit dem Bundespräsidenten, als ich den Auftrag bekommen habe, eine Expertenregierung zusammenzustellen, das mit der Parteichefin der SPÖ besprochen. Ich habe in allen Gesprächen allerdings nie Wünsche oder Forderungen mit auf den Weg bekommen.

STANDARD: Gibt es noch eine Möglichkeit, der Opposition Zugeständnisse zu machen?

Kurz: Meine Hand ist ausgestreckt. Ich habe alle Punkte, die beim Bundespräsidenten deponiert wurden, bereits aufgegriffen. Ich habe versucht, hier klarzustellen, wie ich die Aufgabe einer Übergangsregierung sehe. Ich bin auf alle zugegangen.

STANDARD: Warum sollte die Opposition Ihnen jetzt das Vertrauen aussprechen?

Kurz: Das ist eine Entscheidung der Opposition. Ich habe das starke Gefühl, dass es in der Bevölkerung nicht den Wunsch gibt, Chaos und Unsicherheit in Österreich größer werden zu lassen. Ich habe vielmehr das Gefühl, das die Menschen zu Recht wollen, dass aus einer Krise einer Partei, nämlich der Freiheitlichen Partei, nicht die Krise eines Staates wird. Die Menschen erwarten sich zu Recht auch, dass die österreichische Politik auf internationaler Ebene handlungsfähig ist und unsere Interessen in der Europäischen Union vertritt und unser Ansehen wiederherstellt. Ich habe meine Verantwortung wahrgenommen und innerhalb von 24 Stunden die frei gewordenen Posten mit Experten nachbesetzt. Ich habe auch keine Kritik an diesen Personen gehört.

STANDARD: In jedem Fall wird es im September Neuwahlen geben. Sie sind mit der FPÖ als Partner gescheitert, dennoch haben Sie eine neuerliche Koalition mit der FPÖ nicht ausgeschlossen. Ist das tatsächlich eine Variante: wieder mit der FPÖ?

Kurz: Die FPÖ hat sich gerade selbst aus dem Spiel genommen, darum war es auch notwendig, Neuwahlen auszurufen. Diese Neuwahlen waren ja kein Wunsch, da gab es keine Alternative. Was sich jetzt abzeichnet, ist eine ganz andere Koalition, nämlich eine Koalition aus Sozialdemokratie und Freiheitlicher Partei mit dem Ziel, mich als Bundeskanzler abzuwählen. Wenn ich eine Koalition sehe, die sich hier bildet, dann ist es eine Koalition aus Pamela Rendi-Wagner und Herbert Kickl.

STANDARD: Dennoch: Sie schließen eine Koalition mit der FPÖ nicht aus?

Kurz: Ich habe alles dazu gesagt. Wenn ich der Meinung wäre, dass die Freiheitliche Partei regierungsfähig ist, hätte es keine Notwendigkeit gegeben, die Koalition zu beenden.

STANDARD: Haben Sie es bereut, die FPÖ in die Regierung geholt zu haben? War das nicht absehbar, dass das scheitern muss?

Kurz: Es war absehbar, dass es mit der FPÖ herausfordernd ist, aber man kann in Personen nie zu hundert Prozent hineinschauen. Festhalten möchte ich aber schon, dass es damals nur eine Koalitionsoption gab. Die Sozialdemokratie unter Christian Kern hatte ausgeschlossen, mit der ÖVP unter meiner Führung in eine Koalition einzutreten, und hat nach dem Wahlsonntag sogar versucht, mit der FPÖ an mir vorbei eine Koalition zu bilden. Was die inhaltliche Arbeit mit der FPÖ betrifft, bin ich aber voll zufrieden, das Reformtempo war ein hohes, wir haben sehr viel an Veränderung umgesetzt, was dringend notwendig war. Dass es auch sehr viele Einzelfälle, Zwischenfälle und Skandale gab, die mich sehr viel Kraft und Nerven gekostet haben, das ist die zweite Seite der Medaille.

STANDARD: Sie sind nicht erst mit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos draufgekommen, dass es mit der FPÖ ein Problem gibt?

Kurz: Es gab immer wieder Verfehlungen und Fehltritte, die ich nicht alle öffentlich kommentiert habe, die ich unter vier Augen kritisiert habe. Das war immer wieder eine Belastung für die Zusammenarbeit. Ich habe aber trotzdem im Sinne der inhaltlichen Arbeit nicht bei jedem Einzelfall die Zusammenarbeit infrage gestellt. Die Enthüllungen des vergangenen Freitags waren aber weit mehr als nur das Überschreiten einer roten Linie. Dazu kommt die mangelnde Bereitschaft der Freiheitlichen Partei, eine umfassende und unabhängige Aufklärung sicherzustellen.

STANDARD: Sollten Sie die kommenden Wochen noch im Amt bleiben, was kann, was soll noch umgesetzt werden?

Kurz: Viele Entscheidungen werden wir natürlich im Parlament und nicht in der Regierung treffen. Was die Regierung leisten muss, ist die lückenlose Aufklärung aller Verdachtsmomente sicherzustellen, die im Raum stehen. Das betrifft die Aussagen, die im Video getätigt werden, aber auch die Erstellung und die Beauftragung und die Bezahlung des Videos. Dafür habe ich bereits Sorge getragen. Das Innen- und das Justizministerium haben alle Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen.

STANDARD: Sie haben mehrfach über Tal Silberstein als möglichen Urheber des Ibiza-Videos spekuliert und damit auch indirekt der SPÖ die Schuld gegeben. Ist das nicht eine Form von Dirty Campaigning, das Sie eigentlich ablehnen?

Kurz: Bitte betreiben Sie hier keine Täter-Opfer-Umkehr. Ich habe meine Erfahrungen mit Tal Silberstein, der von der Sozialdemokratie beauftragt war, im letzten Wahlkampf gemacht. Hier wurden antisemitische Facebook-Seiten erstellt, um sie meinem Team und mir in die Schuhe zu schieben. Das waren übelste Methoden, die ich hier erleben musste, und diese Erfahrungen kann mir niemand nehmen.

Standard: Dennoch: Wissen Sie mehr, gibt es konkrete Hinweise, dass Silberstein oder die SPÖ hinter dem Video stecken könnten?

Kurz: Es gibt ja schon mehr und mehr Indizien, die an die Öffentlichkeit kommen. Ich habe volles Vertrauen, dass am Ende des Tages auch ans Tageslicht kommt, wer dieses Video beauftragt und bezahlt hat.

STANDARD: Haben Sie einen Verdacht?

Kurz: Ich habe einen Verdacht, der deckt sich auch mit den Indizien und Tatsachen, die jetzt Schritt für Schritt an die Öffentlichkeit gelangen.

STANDARD: Mit Herbert Kickl als FPÖ-Klubchef werden Sie noch viel Spaß haben.

Kurz: In dieser Zeit geht es nicht um Spaß, sondern darum, Schaden für die Republik zu verhindern. Ich werde alles tun, egal in welcher Funktion, um meinen Beitrag zu leisten, dass es in Österreich Stabilität gibt. Dass wir eine handlungsfähige Regierung haben, dass wir auf europäischer und internationaler Ebene unsere Interessen vertreten und unser Ansehen wieder stärken. Ich werde selbstverständlich auch dafür eintreten, dass im Parlament nicht Unsummen an Steuergeldern verschwendet werden, in den Beschlüssen, in den Wochen vor der Wahl, wie es schon einmal der Fall war, dass das Geld der Steuerzahler mit beiden Händen hinausgeworfen wird.

STANDARD: Ist es denkbar, dass die ÖVP einer Regelung zustimmt, die Großspenden, die auch Sie und die ÖVP bekommen haben, künftig untersagt?

Kurz: Unser Klubobmann August Wöginger ist hier zu Verhandlungen mit allen Parlamentsparteien bereit. Ziel der Volkspartei war immer, die Parteienförderung zu reduzieren und bei Spenden ein Maximum an Transparenz sicherzustellen. (Michael Völker, 25.5.2019)