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Wanderer, Vielschreiber, Verklärer, Apokalyptiker: Joseph Roth.


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Brody

Die Herkunft des Dichters und Journalisten Joseph Roth ist randständig. Zur Zeit seiner Geburt 1894 zählte die galizische Stadt Brody 17.000 Einwohner, von denen rund 13.000 Menschen jüdischen Glaubens waren. Roth trat zeitlebens für die Belange des Ostjudentums ein. Er schrieb über Galizien die anschaulichste Prosa, die dieser Weltgegend jemals gewidmet worden ist. Man sieht weite Ebenen vor sich, in die sich die Fröste verbeißen; elende Hütten; Fenster, die sich unter der Einwirkung der Kälte verziehen und mit Watte verstopft werden müssen. Roth, als Einzelkind Moses Joseph Roth geboren, hat aus der Betrachtung der Kindheitslandschaft die Maßstäbe für sein Schreiben gewonnen. Der spätere rasende/reisende Reporter wandte sich scharf gegen die Assimilierungsbestrebungen der Juden, die in den Westen auswanderten. Die Folgen (ost)jüdischer Selbstverleugnung wurden während der Herrschaft der Nazis beklemmend deutlich. Roth konstatierte die Lage nicht kühl, aber deutlich. Der deutsche Jude habe "den Gott seiner Väter verloren und einen Götzen, den zivilisatorischen Patriotismus, gewonnen".

Geist

Roth lebte die vollkommen öffentliche Existenz eines geistigen Arbeiters-in-Permanenz. Er schrieb allein, in den Cafés, in denen die von ihm belieferten Blätter auslagen, aber niemals einsam. Der Autor stachelte seine immense Produktivität durch ausdauernden Alkoholgenuss an. Die Tragödie seiner Ehe mit Friederike "Friedl" Roth muss diesen zähen, kleinen Sisyphos der Füllfeder ein Stück weit den bürgerlichen Verkehrsformen entfremdet haben. Ihr Nervenleiden verlangte nach stationärer Behandlung. Die daraus resultierenden Geldnöte versuchte Roth zu lindern, indem er immer mehr Romane schrieb. Die durchgängige Qualität seiner Prosa ist atemberaubend, zumal wenn man bedenkt, dass die Zwänge des Exils – mit dem Wegfall des deutschen Buchmarkts – die Situation grundlegend verschärften. Die in Deutschland zurückgelassene Friederike Roth fiel der Nazi-Vernichtungspolitik zum Opfer.

Fortschritt

Der gefeierte, von der Frankfurter Zeitung gut bezahlte Feuilletonist und nachmalige Exilant, wechselte die Hotelzimmer öfter als andere Menschen das Hemd. Mit dem Kollaps der k. u. k. Monarchie sah er sich in die Fremde verwiesen, und Roth nahm das Geschenk bereitwillig an. Seitdem Kaiser Franz Joseph begraben worden ist, "glaube ich nicht", schreibt Roth, "dass wir, Fahrpläne in der Hand, in einen Zug steigen können. Die Fahrpläne stimmen nicht, die Führer berichten falsche Tatsachen." Das impressionistische Subjekt tritt an die Stelle des lokal verankerten Beobachters: "Ich fahre niemals mehr in die ,Fremde'. Welcher Begriff aus der Zeit der Postkutsche! Ich fahre höchstens ins ,Neue'" Roth plädiert für die Durchlässigkeit eines modernen, untröstlichen Bewusstseins, das sich keinen Illusionen hingibt. Seine frühe, naive Technikbegeisterung legt der Autor der Romane Radetzkymarsch und Kapuzinergruft bald ad acta. Der Organismus, der ihm als Leitbild vorschwebte, war der leicht verwesliche der Donaumonarchie. Dieser Körper war ein Phantasma. Roths rückbleibende Verklärung des Kaisertums wird von keinerlei Realitätsgehalt getrübt. Sich selbst deklarierte der Kaisertreue noch in seinen Pariser Exiljahren als Katholik.

Nostalgie

Nach 1926 verändert sich Roths Tonfall. Seiner sonst so wasserklaren Sprache bemächtigt sich eine Verfärbung ins Apokalyptische. Der ruhelose Wanderer beginnt, Zeugnisse der Modernität als Begleiterscheinungen des Totalitarismus aufzufassen. Roths unerbittlicher Kampf gegen Hitler-Deutschland enthält Züge eines nur schwer begreifbaren Willens zur Verklärung. Die Nazi-Eindringlinge in Österreich sind für ihn "Preußen". Deren Herrschaft werde nicht dauern: "Wir müssen trachten, sie zu überleben." (1939) Roths Sympathie für Österreich gründet auf der Macht des Paradoxons. Österreich sei überlegen, weil es liebenswürdig ist. Seine Liebenswürdigkeit resultiere aber aus seiner Schwäche.

Tod

Das Begräbnis Joseph Roths fand am 30. Mai 1939 auf dem Pariser Cimetière Thiais statt. Die Grablegung des Dichters sorgte für ein konfessionelles Wirrwarr. Jüdische Anwesende zeigten sich schockiert, dass ein katholischer Geistlicher die Einsegnung vornahm. Egon Erwin Kisch konnte seine Wut kaum bezähmen, als er sah, wie ein "Monokelgespenst einen Kranz mit schwarzgelber Schleife ins Grab gleiten ließ". (Ronald Pohl, 27.5.2019)