Wien – "Ich hoffe, dass es dem Papa jetzt besser geht", sagt der 32-jährige Mario S. in seinem Schlusswort vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Thomas Kreuter. Dass das – so man daran glaubt – möglich sein könnte, ist die Schuld des Unbescholtenen: S. hat am 3. August in Wien-Favoriten seinem schlafenden Vater zweimal in den Hals gestochen und wartete anschließend, bis der 59-Jährige verblutete.

Der Mordprozess ist in mehrfacher Hinsicht interessant: Er bietet Einblicke in die Abgründe, die sich hinter den Haustüren einer Großstadt abspielen, und demonstriert gleichzeitig, wie ein eigentlich unauffälliger Lebensweg innerhalb von zweieinhalb bis drei Jahren völlig zerbröseln kann.

Alkoholkranker Vater und Trennung der Eltern

Die Wurzeln des Problems liegen wohl schon in der Kindheit von S., glaubt auch die psychiatrische Sachverständige Sigrun Roßmanith. Als er ein Kleinkind war, musste er erleben, wie der alkoholkranke Vater der Mutter ein Luftdruckgewehr ansetzte. Bald darauf trennten sich die Eltern, er blieb bei der Mutter, die eine neue Beziehung einging.

S. habe, so Roßmanith, "unter dem Druck und dem Diktat des Stiefvaters" gelitten und begann mit dem Beginn der Pubertät Suizidgedanken und Depressionen zu entwickeln. "Er weist eine hohe Intelligenz auf, hat aber weit unter seinem Wert und seinen Möglichkeiten gelebt", ist die Sachverständige überzeugt.

Schlussendlich schaffte er aber einen erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben, lernte eine Frau kennen, bekam eine Tochter mit ihr und ging in Karenz. Seine Grundprobleme blieben laut Roßmanith bestehen: "Er kann schlecht Nein sagen, sich schlecht abgrenzen." In der Beziehung kam es zu Spannungen, im Jahr 2014 unternahm er einen Selbstmordversuch, im Jahr 2015 trennte sich das Paar endgültig. "Interessant ist, dass er nicht sagen konnte, warum die Frau sich von ihm trennte", konstatiert Roßmanith. S. scheint dem Konflikt aus dem Weg gegangen zu sein.

Jobverlust verschlimmerte Situation

Ende 2015 zog er in ein Zimmer in der Wohnung seines Vaters. Dass der in ungeordneten Verhältnissen lebte, sei ihm egal gewesen, sagt der Angeklagte nun. "Das Chaos war mir wurscht, ich dachte, ich bin eh in meinem Zimmer, das ist sauber." Zunächst hatte S. noch regelmäßig Kontakt zu seiner Tochter, dann riss auch der ab. Warum, weiß er auch in diesem Fall nicht so genau. "Ich glaube, es war wegen dem Geld", erinnert er sich. Dass er Mitte 2016 arbeitslos wurde, verbesserte die Situation nicht.

Im Lauf der Monate passte er seinen Lebensstil an den des Vaters an. In der Früh besorgte er im Supermarkt Alkohol und Leberkäse, gemeinsam wurde konsumiert, den Rest der Zeit verbrachte man mit Fernsehen und Schlafen. S. selbst hat nie Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung beantragt, die beiden lebten von der Mindestpension des Vaters.

"Haben Sie sich externe Hilfe organisiert?", interessiert Beisitzerin Anna Marchart. "Nein. Ich wollte ja keine, und er auch nicht. Er wollte ja auch niemanden in die Wohnung lassen, da er sie sonst verliert", verweist S. auf die desaströsen Zustände.

"Von eigener Hilflosigkeit überfordert"

Am Ende duschte sein Vater nicht mehr und urinierte in die Badewanne. "Ich bin nur noch dahinvegetiert wie der Papa", formuliert es der Angeklagte, der aber nicht in Selbstmitleid versinkt, sondern nüchtern und ruhig erzählt. Für die Sachverständige Roßmanith scheint es, dass S. sich nicht "vom versandelnden Sog" des Vaters freimachen konnte. "Ich war von meiner eigenen Hilflosigkeit überfordert", formuliert es der Angeklagte.

Was konkret aber den Angriff schließlich ausgelöst hat, bleibt unklar. S. erzählt, sein Vater habe ihn in den zwei Monaten vor der Tat immer wieder gebeten, er möge ihn töten. Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger sieht daher auch keinen Mord, sondern eine Tötung auf Verlangen.

"Hat Ihr Vater nur gesudert oder gesagt: 'Bitte, bring mich um!'?", will die Anklägerin von S. wissen. Er gibt zu, dass es mehr "Suderei" gewesen sei, beharrt aber darauf, dass sein Vater ihn einmal sehr wohl um Zyankali gebeten habe. Dass das schwerverletzte Opfer noch an der Schlafzimmertür nach dem Angeklagten rief, der die Tür von außen zuhielt, quittiert Vorsitzender Kreuter mit der rhetorischen Frage: "Verhält sich so jemand, der sterben will?"

Leiche eine Woche in Schlafzimmerschrank versteckt

Die Leiche, die mittels DNA-Test identifiziert werden musste, verpackte der Angeklagte in Müllsäcke und sperrte sie in den Schlafzimmerschrank, dessen Fugen er noch mit Klebeband abdichtete. Am nächsten Tag traf er sich noch mit seiner Mutter, anschließend sei er tagelang ziellos durch Österreich gefahren, um sich selbst zu töten, sagt er. Nach einer Woche meldete er sich dann aber beim Polizeinotruf und stellte sich.

Das Urteil der Geschworenen fällt einstimmig, S. wird wegen Mordes verurteilt. Gegen die Strafe von zwölf Jahren Gefängnis legt die Staatsanwältin Berufung ein, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 27.5.2019)