Mit einem EZB-Präsidenten Jens Weidmann sinke die Gefahr einer "umfangreichen Transferlösung für hoch verschuldete Eurostaaten", argumentiert das ZEW.

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Mannheim/Frankfurt – Das deutsche Forschungsinstitut ZEW hält den neu zu besetzenden Posten des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) für entscheidender für Deutschland als die Spitze der EU-Kommission. "Auch wenn der Präsident im EZB-Rat nur über eine Stimme verfügt, ist seine Rolle als Meinungsmacher von enormer Bedeutung für die Entscheidungen", erklärte Friedrich Heinemann vom ZEW am Montag.

Das habe EZB-Präsident Mario Draghi demonstriert, dessen Mandat dieses Jahr endet. "Für Deutschland ist die Besetzung des EZB-Präsidentenamtes von größerer ökonomischer Bedeutung als der Chefsessel der EU-Kommission", fuhr Heinemann fort.

Zwar verfüge die Kommission in der EU-Gesetzgebung über die Gesetzesinitiative, letztlich bedürfe aber jedes Gesetz der Zustimmung von Rat und Parlament. Durch die schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament könne der Handlungsspielraum des nächsten Kommissionspräsidenten zudem stark eingeengt sein.

Einfluss auf Anleihenkäufe relevant

Bei der EZB sei das "grundlegend anders", argumentierte ZEW-Forscher Heinemann. Der EZB-Rat entscheide über alle Maßnahmen der Geldpolitik "in völliger Unabhängigkeit von Parlament oder Rat", auch über den Kauf von Staatsanleihen. Es sei für Deutschland von enormer finanzieller Relevanz, ob die EZB etwa bei einer italienischen Schuldenkrise in großem Maße Staatsanleihen Italiens kaufe.

"Mit einem EZB-Präsidenten, der wie Jens Weidmann als Kritiker der Anleihekäufe gilt, sinkt die Gefahr einer von der EZB organisierten umfangreichen Transferlösung für hoch verschuldete Eurostaaten", erklärte Heinemann. Die deutsche Regierung sollte daher "eindeutig den EZB-Präsidentensessel" für den derzeitigen Bundesbank-Präsidenten beanspruchen.

Der Chefsessel bei der EZB muss dieses Jahr neu besetzt werden. Das Mandat von Amtsinhaber Draghi endet am 1. November. Neben Weidmann gelten auch die Gouverneure der Zentralbanken von Frankreich und Finnland, Francois Villeroy de Galhau und Olli Rehn, sowie das französische Direktoriumsmitglied Benoit Coeure als mögliche Draghi-Nachfolger.

Weidmann sitzt der Deutschen Bundesbank seit 2011 vor. Als deren Präsident sitzt er im Rat der EZB. Dort gilt er als Kritiker der lockeren Geldpolitik der Notenbank. (APA, 27.5.2019)