Habt ihr da Bier drinnen? Die beiden offensichtlich durstigen Tourenradfahrer werden neugierig, als wir sie auf dem Radweg entlang des Wiener Neustädter Kanals überholen. Die großen Ladeboxen auf unseren Transporträdern wecken vielerlei Wünsche und Vermutungen. Der Fahrer des Lkws, der uns bei Mödling entgegenkommt, denkt dabei wiederum eher an süßes Kühles. "Habt ihr da Eis drinnen?" Lastenräder mögen in größeren Städten wie Wien, Graz oder Linz bereits zum gewohnten Anblick gehören, im ländlichen Raum ist dem nicht so.

Klimaschonender Transport

Um das zu ändern sind wir unterwegs. Mit drei Transporträdern mit elektrischer Unterstützung fahren wir anlässlich des Österreichischen Radgipfels in drei Tagen von Wien nach Graz. Um Aufmerksamkeit auf das Thema klimaschonender Transport zu lenken, um drei Transportradprojekte zu bewerben, und um zu zeigen: das geht! Nämlich 240 Kilometer weit von A nach B zu kurven, mit einer Transportkapazität von bis zu 200 Kilogramm inklusive Fahrerin und Fahrer und ohne Emissionen zu verursachen. Auch wenn dazwischen der Semmeringpass liegt, mit 984 Metern Seehöhe.

Wir, das sind die Lastenradler Lina, Alec und Fabian sowie Walter und Doris, die mit normalen E-Bikes die Tour begleiten. Wir alle sind keine professionellen Radler oder gar Fahrradboten, sondern eher Schreibtischtäter mit Radbegeisterung, beruflich tätig in den Bereichen Verkehrsforschung und Mobilitätsberatung. Lina arbeitet bei "AustriaTech" und ist mit dem Lastenrad des urbanen Mobilitätslabors "thinkport Vienna" unterwegs, das auf das Thema der urbanen Logistik fokussiert. Fabian forscht an der TU Wien und fährt das Transportrad des "Aspern.mobil LAB". Und Alec von den "Radvokaten" ist mit seinem KlimaEntLaster unterwegs, der im gleichnamigen Pilotprojekt mit vielen anderen Lastenrädern zum Einsatz kommen wird, um die Kleinstädte Mattersburg, Freistadt und Amstetten mit dem Cargobike-Virus anzustecken.

Fabian, Lina und Alec zu Beginn der Reise.
Foto: Alec Hager, Doris Wiederwald

Drei Tage dauert die Tour und führt uns über Mödling, Wiener Neustadt, Neunkirchen, Kindberg und Kapfenberg nach Graz. Auf dem Weg besuchen wir Lastenrad-affine Gemeinden und Betriebe, wie "Prisma solutions" in Mödling, die uns mitsamt Vize-Bürgermeister, Lastenrad und Jause empfangen. Tags darauf begleitet uns Andrea, die neue KEM-Managerin der Region Schwarzatal, ein Stück weit von Neunkirchen aus auf dem Schwarzatalradweg. KEM steht für Klima- und Energie-Modellregionen, 95 davon gibt es in Österreich. Andrea kümmert sich dementsprechend enthusiastisch um Verbesserungen, auf ihrer Wunschliste ganz oben: mehr Verkehrssicherheit für Radler im Schwarzatal. Beim Fototermin zum Start in Neunkirchen bringt sie nicht nur den Vizebürgermeister mit, sondern auch Klara, das kostenlos ausleihbare Lastenrad der Gemeinde.

Gefährliche Stelle am Radweg Schwarzatal, die dringende Entschärfung bräuchte.
Foto: Alec Hager, Doris Wiederwald

Über den Semmeringpass

Eine private Variante des Engagements für umweltfreundliche E-Mobilität und das Wohlergehen der Fahrer überrascht uns unterwegs in Gestalt eines Hinweisschildes am Radwegrand: E-Ladestation und Getränkeautomat. Nichts wie hin! Tatsächlich, im Holzschuppen eines gesprächsfreudigen Ehepaars warten einige Steckdosen, gespeist von Solarzellen am Dach des Bauernhofs, und gekühlte Getränke zum Freundschaftspreis. Diesen hat der Hausherr schon kräftig zugesprochen, dementsprechend schwungvoll wird die Plauderei. Außerdem tauchen immer mehr Katzen auf, bis ungefähr zehn um die Räder schleichen – ein Kater erbarmt sich dann tatsächlich und posiert für ein Foto auf Linas Lastenrad.

Cargobike-Cat-Content bei der E-Ladestation mit Getränkeautomat.
Foto: Alec Hager, Doris Wiederwald

Kurz bevor wir zu Mittag des zweiten Tages die Passhöhe am Semmering erreichen, treffen wir Starsky und Hutch. Allerdings nicht das Duo aus der Fernsehserie. Starsky ist ein Hund und Hutch heißt eigentlich Martin Hutchinson. Er ist mit seinem Liegerad auf dem Weg von Großbritannien nach Australien. Starsky fährt im Fahrradanhänger mit, er wurde von Hutch in Portugal auf der Straße aufgelesen. Die beiden sind schon von Weitem zu sehen, denn Fahrrad und Anhänger sind mit neonfarbenen Warnwesten und Union Jack dekoriert. Alles zusammen wiegt 200 Kilo – eine elektrische Tretunterstützung wie bei unseren Lastenrädern gibt es nicht. Martin Hutchinson will mit dieser Tour auf den Klimawandel aufmerksam machen, gegen Umweltverschmutzung kämpfen und vor allem Schulkinder überzeugen, sich um die Zukunft des Planeten zu kümmern. Als ehemaliger Feuerwehrmann kann er dabei auf die Gastfreundschaft vieler Feuerwehren zählen. So offensichtlich auch im Mürztal – er trägt ein Shirt der Feuerwehr Mürzzuschlag. Seit 13 Jahren ist er schon unterwegs, zuerst zu Fuß durch Lateinamerika, nun per Rad Richtung Down Under.

Das bunte Gefährt von Starsky und Hutch, dem Umweltaktivisten aus Großbritannien, vor der Kulisse des Schneebergs.
Foto: Alec Hager, Doris Wiederwald

Abstecher auf die Burg

Der Weg zum Pass stellt sich für uns als erstaunlich leicht überwindbare Hürde dar, so lange die Akkus halten. Und das tun sie! Die handelsüblichen E-Bike-Motoren, die auch in gängigen "Normalrädern" verbaut werden, stammen von den Marktführern wie Bosch und Shimano oder Nischenproduzenten wie Ezee. Sie sind meist mit 500-Wattstunden-Akkus ausgerüstet, die Motorunterstützung riegelt bei 25 km/h ab und bei moderater Zuhilfenahme der E-Power kommen wir damit bei dieser Fahrt über 90 Kilometer weit. Trotz energieraubender Abstecher wie jenem zur Oberkapfenberger Burg – natürlich über die steile Seite mit bis zu 30 Prozent Steigung, das hat unser nativer Kapfenberger Begleiter Walter mit Absicht so für den Sonntagvormittag ausgewählt, um unseren Hunger für den Brunch bei seiner Mutter zu wecken. Beim Rauffahren sind die E-Motoren und unsere Wadeln bis zum Anschlag gefordert. Belohnt werden wir dafür mit einem weitreichenden Ausblick ins Mürztal. Der scharfe Geruch erhitzter Bremsbacken zeugen davon, dass die Bremsen beim Runterfahren an ihre Grenzen gebracht wurden.

Lina und Fabian auf der Passtraße.
Foto: Alec Hager, Doris Wiederwald
Fabian, Lina und Alec auf dem Weg durchs Mürztal bei Allerheiligen.
Foto: Alec Hager, Doris Wiederwald
Alec nach dem steilen Anstieg zur Burg Oberkapfenberg.
Foto: Alec Hager, Doris Wiederwald

Beim Mittagessen schließt sich uns Martin an, der heute schon heftigere Steigungen hinter sich hat. Er ist Programmierer in Graz und Mit-Initiator der Lastenrad-Sharing-Plattform "das-lastenrad.at". Er hat einen Weg von Graz gewählt, der ihn über mehrere Pässe führte, 80 Kilometer und 2.000 Höhenmeter hat er bereits hinter sich. Mit einem unbeladenen leichten Lastenrad, ohne elektrische Unterstützung. Da schmecken Schweinsbratenbrot, Bier und Apfelstrudel noch besser!

Hello, Graz

Bald danach erweitert sich der Konvoi um weitere Transportradenthusiasten, als wir den legendären Radlertreff "Ritchi" südlich von Bruck an der Mur erreichen. Auch die Blasmusikkapelle ist dort schon im Einsatz. Uns erwarten Karl und Karl-Heinz, sie haben die FGM vor vielen Jahren mitgegründet, die Forschungsgesellschaft Mobilität in Graz. Diese europaweit renommierte Institution organisiert den Österreichischen Radgipfel, jene verkehrspolitische Fachkonferenz mit 400 Besucher von 27. bis 29. Mai, zu der wir ja fahren. FGM hat auch das EU-Projekt Cycle Logistics geleitet, das zu überzeugenden Ergebnissen kam: 30 Prozent der Paketlieferungen, 50 Prozent der gewerblichen Dienstleistungen und 77 Prozent aller privaten Logistikwege (Einkaufen, Kindertransport und Freizeitaktivitäten) könnten in Europa auf Lastenräder verlagert werden.

Die auf zehn Personen angewachsene Gruppe radelt zügig den Murradweg flussabwärts und lässt sich am vorbildlich verkehrsberuhigten Hauptplatz von Frohnleiten zu Eiscafé und Heiße Liebe nieder. Immerhin sind wir zum Vergnügen hier, und es macht tatsächlich immer noch – oder immer mehr? – Spaß, mit unseren Schlachtschiffen der Stadtlogistik durch die Landschaft zu cruisen, die überraschten Blicke der lokalen Bevölkerung zu ernten und dabei nette Gespräche zu führen. Schlussendlich verabschieden wir uns dann beim Grazer "Radweg" – ja, so lautet tatsächlich ein Straßenname hier! – von unserem einheimischen Geleitschutz und sind stolz, dass wir es geschafft haben. Wir und unsere Akkus. Als wir mit unseren Transporträdern schlussendlich im Stadtzentrum am Franziskanerplatz ankommen, werden auch die alten Damen in der Pizzeria neugierig: Habt ihr da Eis drinnen? (Fabian Dorner, Alec Hager, 28.5.2019)