Noch ist kaum jemand da, es ist ruhig hier unten im Keller. Louise Streissler, Schnürlsamthose, dunkle Locken, steht am frühen Morgen in der Metallwerkstätte der Universität für angewandte Kunst in Wien.

In der Hand hält sie ein Blatt Papier mit einer Skizze. "Wie ein Fenster" solle das Gestell aussehen, Streissler deutet auf die Einzelteile, die halbfertig im Raum stehen. Die Begeisterung ist ihr ins Gesicht geschrieben. An dem handgefertigten Gestänge wird sie demnächst ihre Diplomkollektion präsentieren.

Laura Schaeffer hat die Kollektion von Modepreis-Gewinnerin Louise Streissler für uns fotografiert.
Urlaubsfotos wurden zum Himmel-Print. Er zieht sich durch Louise Streisslers Kollektion.
Foto: Laura Schaeffer

Noch aber ist es nicht so weit. Es gibt jede Menge andere Dinge zu tun. Aus der Ruhe bringt der Endspurt vorm Diplom die Absolventin nicht. Das hat sie auch am Tag zuvor während des RONDO-Shootings bewiesen. Morgens besorgt sie noch schnell für alle ein paar Croissants, danach richtet sie die beiden Kleiderstangen und die Accessoires.

Immer wenn ein wenig Zeit zwischen den Outfitwechseln ist, sitzt die Absolventin neben dem Set und hält Nadel und Faden in der Hand. Einmal muss an einem Umhang noch eine Kleinigkeit vernäht werden, ein andermal entfernt sie lästige Fäden. Und, ach, bei diesem einen Oberteil säße idealerweise noch ein Abnäher in der Seite. "Das mache ich noch."

Rund ein Jahr lang war Streissler mit ihrer Abschlussarbeit beschäftigt, und noch immer gehen ihr die Einfälle nicht aus. Die Idee hinter der Kollektion, die sie Welcome to my house genannt hat: "Ich habe mir vorgestellt, mit Freunden in ein Haus auf dem Land zu ziehen und eine Art Bauhaus-Kollektiv zu gründen."

Schon während ihrer Aufnahmeprüfung an der Modeklasse der Angewandten habe sie auf die Frage, wo sie sich in zehn Jahren sehe, geantwortet: "Mit Freunden für Freunde arbeiten." Einen solchen Lebensentwurf sucht sie noch immer.

Korsage überm Strickpullover: Die Silhouette zitiert weibliche Renaissance-Proportionen.
Foto: Laura Schaeffer

Die Österreicherin ist gerne unter Menschen, weniger, um im Kaffeehaus herumzusitzen ("Zu fad!"), als um gemeinsam an Projekten herumzutüfteln. "Durch die Arbeit Energie zu bekommen, das finde ich spannend", erklärt Streissler. Und: Auf der Uni habe sie das Miteinander mit Künstlern, Designern und Handwerkern besonders fasziniert.

Ländliche Utopie

Leinenkombination trifft auf handbemalte Clogs: Die 27-Jährige thematisiert ihre Verbindung zu Schweden.
Foto: Laura Schaeffer

Ihre Vorstellung vom Leben auf dem Land hat die 27-Jährige, die im achten Wiener Gemeindebezirk aufgewachsen ist und deren halbe Familie in Schweden lebt (die sie mindestens zweimal im Jahr besucht), nun in eine Kollektion übersetzt, die lustvoll mit Klischees spielt. Es gibt einen Strohhut (siehe oben), eine Lederhose, ein Sommerkleid, einige schwere Wollstoffe und schwedische, handbemalte Holzclogs.

Von einer kitschigen "Landlust"-Inszenierung sind die Entwürfe dennoch weit entfernt. Gebrochen wird Streisslers ländliche Utopie nämlich mit ironischen Versatzstücken wie einem selbstentwickelten "Welcome"-Print auf flaschengrünen Jerseystücken (siehe Bild unten), wie er sonst nur auf Fußmatten zu finden ist. Oder auch mit lieblichen Motiven wie einem wolkigen Himmel-Druck. Der habe bislang auf alle eine besondere Anziehungskraft ausgeübt, grinst Streissler.

"Welcome" – der Gruß, den man von Fußmatten kennt, schmückt verrüschte Jerseystücke.
Foto: Laura Schaeffer

Ein wenig hat sich die Wienerin auch auf unbekanntes Terrain begeben. So etwas Feminines wie diesmal habe sie noch nie gemacht, erklärt sie und schüttelt energisch den Kopf, während das Model gerade vor der Kamera in einer Lederhose verschiedene Posen austestet.

Die Hose wurde hinten mit einer Rüsche aus Leder verziert, mit einem Zipp kann man sie auf Knielänge kürzen. Ein Oversize-Mantel mit Schulterpolstern wird mit transparenten, gerüschten Oberteilen kontrastiert. Dass Streissler während ihres Studiums auch Entwürfe für Männer gemacht hat, erahnt man tatsächlich hier und da. Für die Mäntel und Jacken zum Beispiel hat sie klassische Herrenschnitte abgewandelt.

Zu Streisslers Kollektion gehören Handtaschenmodelle aus Leder.
Foto: Laura Schaeffer

Bei allem Einfallsreichtum sind die Entwürfe der 27-Jährigen immer tragbar. "Ich verstehe Mode nicht als Wegwerfartikel, ich kaufe mir selbst zum Beispiel nie neue Kleidung." Streissler ist eine, die sich an sauber verarbeiteten Details, der Platzierung von Druckknöpfen oder dem weitgehend unsichtbaren Innenleben eines Mantels erfreuen kann.

Genau und ordentlich zu arbeiten, habe sie allerdings erst lernen müssen, lacht die Absolventin. Geholfen haben ihr dabei die regelmäßigen Besuche in der stets aufgeräumten Werkstatt von Árpád Mészáros.

Die 27-jährige, in Wien geborene Louise Streissler zieht es nach ihrem Studium "hinaus in die weite Welt", um für ein Modehaus zu arbeiten.
Foto: Laura Schaeffer

Mit dem Ledergalanteristen, der im siebten Bezirk werkt, hat sie ihre Handtaschen und die Lederhosen erarbeitet. In den fünf Jahren ihrer Zusammenarbeit habe der Spezialist ihr vor allem eines vermitteln können: auch in Stressphasen Ruhe zu bewahren.

Diese Gelassenheit wird Streissler gut gebrauchen können, denn die Endzwanzigerin hat viel vor. Stockholm reize sie natürlich, aber erst einmal will die Wienerin, die für ihre verstreut lebende Familie ihr Leben lang zwischen Frankreich, Schweden und Österreich herumgetourt ist, "hinaus in die weite Welt".

Erst möchte sie für ein großes Modehaus in Paris arbeiten: "Dort kann man Produkte umsetzen, die dann tatsächlich auf den Markt kommen. Das Schaffen wird nicht so sehr von Budgetzwängen blockiert."

Für immer, räumt die Absolventin ein, werde sie wahrscheinlich nicht für ein Luxushaus tätig sein. Aber entscheidend seien am Ende des Tages sowieso andere Dinge. Zum Beispiel gehe es darum, Mut und gute Ideen zu haben.

Ob sie das von sich selbst behaupten kann? "Na klar", die Antwort kommt diesmal wie aus der Pistole geschossen. "Und entscheidungsfreudig bin ich auch. Ich mag's einfach, wenn Dinge passieren." (Anne Feldkamp, RONDO, 6.6.2019)