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Die ukrainischen Seeleute vor dem Moskauer Gericht.

Foto: AP/Alexander Zemlianichenko

Russland wird die im November in der Meerenge von Kertsch festgenommenen ukrainischen Matrosen trotz eines Urteils des Internationalen Seegerichtshofs nicht freilassen. Moskau nimmt damit auch eine weitere Verschärfung der Krim-Krise in Kauf.

Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg hat gesprochen – allein Moskau hört nicht: Das UN-Gericht unter Vorsitz des Südkoreaners Paik Jin-hyun hatte am Wochenende verfügt, dass Russland 24 ukrainische Matrosen und deren Schiffe freigeben müsse. Die Männer waren im vergangenen Herbst von der russischen Küstenwache aufgebracht worden. Dabei hatte eins der Patrouillenboote den ukrainischen Schlepper Jany Kapu gerammt, zudem wurden drei Ukrainer beim Beschuss des Kutters Berdnjansk verletzt.

Moskau wirft den ukrainischen Marinebooten Verletzung der Staatsgrenze vor, während Kiew auf freier Fahrt durch die Meerenge von Kertsch besteht, um die Häfen im Asowschen Meer zu betreiben. Von Anfang an war der Streit hochpolitisch. Das fast einstimmige Gerichtsurteil – 19:1 Stimmen waren es am Ende – hat ihn keineswegs entschärft, schon weil Russland den Prozess boykottiert hat. Das Gericht habe gar nicht die notwendige Kompetenz für diesen Fall, argumentierte der Kreml.

Peskow: "Seerecht nicht anwendbar"

Und dabei bleibt es: "Im Fall der Meerenge von Kertsch ist das Seerecht aus dem Jahr 1982 nicht anwendbar, wie bereits das Außenministerium detailliert dargelegt hat", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag. "Die russische Seite wird zweifellos konsequent ihren Standpunkt in dieser Geschichte vertreten", fügte er hinzu.

Dieser Standpunkt ist glasklar: Über das Schicksal der ukrainischen Matrosen hat allein Russland zu entscheiden. Schließlich hat das Außenministerium bereits erklärt, dass der Konflikt hätte "bei Beachtung der russischen Gesetzgebung, die die Schifffahrt in der Region regelt", vermieden werden können. Die internationale Rechtsprechung sei in dem Fall nicht zuständig, zumal beide Seiten, also sowohl die Ukraine als auch Russland, bei ihrem Beitritt zum Seerechtsübereinkommen eine internationale Betrachtung etwaiger Streitfragen in der Meerenge von Kertsch ausgeschlossen hätten.

Großmächte ignorieren Urteile

Kiew ist da anderer Ansicht, doch wichtiger als alle juristischen Fragen zur Zuständigkeit sind die faktischen Einflussmöglichkeiten des Gerichts. Und die sind nichtig. "Die gesamte Konstruktion des Tribunals beruht auf der freiwilligen Erfüllung seiner Entscheidungen. Irgendwelche Zwangsmechanismen gibt es nicht", kommentierte der Jurist Dmitri Romanenko die Lage. Das ist eigentlich das ständige Dilemma internationaler Gerichtshöfe, dass die Großmächte – nicht nur Russland, sondern beispielsweise auch China und die USA – deren Urteile ignorieren, wenn eigene Interessen dadurch beeinträchtigt werden.

Für die 24 seit einem halben Jahr inhaftierten Männer ändert sich durch den Richterspruch also nichts. Folgenlos bleibt das Urteil trotzdem nicht. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrej Melnik, forderte bereits eine Sanktionsrunde, weil Russland den Beschluss des UN-Seerechtsgerichtshofs nicht erfülle. Das Ganze wollte er als "Hamburger Sanktionen" durchbringen. Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa schimpfte bereits zurück, "für Sanktionen ist ohnehin kein Anlass nötig, diese werden auf dem Fließband gestampft".

Beide Seiten provozieren

Eine von Moskau erhoffte Erleichterung bei den Krim-Sanktionen wird sich so sicher nicht lobbyieren lassen. Im Gegenteil: Die Spannungen um die Halbinsel könnten wieder zunehmen. Nicht militärisch, aber auf politischer Ebene. Denn die Nichtbeachtung des Urteils ist durchaus der von Sacharowa negierte Anlass, um weitere Restriktionen gegen Russland zu provozieren.

Die Europäer mögen im November mit dem Vorgehen der Ukraine ebenfalls nicht einverstanden gewesen sein, denn der Konflikt wurde damals durchaus von beiden Seiten provoziert. Doch die starre Haltung in der Frage und die völlige Ignoranz der internationalen Gemeinschaft, die zur Mäßigung aufruft, lässt Russland einmal mehr als Aggressor in der Frage erscheinen. Dieses Bild hätte Moskau bei mehr Flexibilität vermeiden können, hätte der Kreml noch vor dem Urteil die Matrosen als Akt der Gnade frei- und in die Ukraine zurückkehren lassen. (André Ballin aus Moskau, 27.5.2019)