Da war's wieder vorbei: Sebastian Kurz, kurz nachdem SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt ihm und seiner Regierung das Misstrauen ausgesprochen haben.

Foto: APA / Roland Schlager

Für die vier Neulinge im Regierungsteam blieb es nicht viel mehr als ein kurzes Sesselwärmen. Ihr erster Auftritt auf der Regierungsbank im Plenum des Nationalrats am Montag war zugleich ihr letzter. Am Nachmittag sprachen SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt der gesamten Bundesregierung ihr Misstrauen aus. Es war ein historischer Moment – um exakt 16.14 Uhr wurden zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik ein Regierungschef und sein Team erfolgreich zu Fall gebracht. Aber der Reihe nach.

Am Montag geht es plötzlich zack, zack, zack. Seit wenigen Stunden ist bekannt, dass die Sozialdemokraten nicht bloß mit der Liste Jetzt dem Kanzler das Misstrauen aussprechen, sondern einen eigenen Antrag einbringen und mit ihm gleich die gesamte Regierung ins vorzeitige Aus schicken wollen. Das gefällt Montagvormittag auch der FPÖ so gut, dass der neue Parteichef Norbert Hofer prompt die Zustimmung zum roten Racheplan ankündigt.

DER STANDARD

In der Sondersitzung geht es dann zur Sache. Gerade-noch-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) muss eine Reihe dringender parlamentarischer Anfragen der SPÖ beantworten. Eine Übung, die ihm laut eigenem Bekunden schwerfällt. Er sei "normalerweise eher ein ruhiger Mensch", habe sich "schon viel anhören" und "viel aushalten müssen". Aber das! Schnell wittert er "Anpatzversuche". Kurz erklärt, er wolle sich trotzdem "nicht provozieren lassen". Dabei ist zu diesem Zeitpunkt Herbert Kickl, seit Montag neuer geschäftsführender Klubchef der Blauen, noch gar nicht am Wort. Er schenkt Kurz später so richtig ein.

Johlen in den türkisen Reihen

Zunächst sind aber auch die ÖVP-Abgeordneten selbst ziemlich frech. Als SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Rednerpult zur Rechtfertigung des Misstrauensvotums antritt, kennt die türkise Schadenfreude über das Ergebnis der sonntäglichen EU-Wahl samt aufkeimender Zweifel an der roten Obfrau kaum Grenzen. Da wird gejohlt und gelacht, als Rendi-Wagner Nervosität bei der ÖVP ausmachen will. Dabei zeige sich "gerade in solchen Situationen wahre Führungsstärke", erklärt die SPÖ-Chefin. Der ÖVP-Sektor tobt vor Häme. Die Abgeordneten der FPÖ, die wie bei den Ausführungen von Kurz demonstrativ ihre Unterlagen studieren, unterstützen ihre türkisen Co-Parlamentarier mit keinem Mucks. Das hat es in den vergangenen 17 Monaten Parlamentszeit nicht gegeben.

Den Auftritt von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner quittiert man im ÖVP-Sektor mit Lachen und Johlen.
DER STANDARD

Mit Applaus für den neuen roten Bündnispartner hat man es bei den Blauen aber auch nicht – mit einer Ausnahme. Rendi-Wagner wirft dem ÖVP-Chef gerade vor: "Sie, Herr Bundeskanzler, gehen davon aus, dass es die Pflicht von uns Abgeordneten ist, Ihr Handeln im Nachhinein zu rechtfertigen. Das hat nichts mit demokratischer Haltung zu tun." Da nickt Kickl, schaut zu Hofer, der starr in Richtung Pult blickt, und beginnt zu klatschen. Kurz wendet er den Kopf, ob es ihm ein anderer Freiheitlicher gleichtut. Nein. Kickl wirkt dabei dennoch überzeugt.

Kurz habe Abmachung gebrochen

In seiner eigenen Rede lässt Kickl dann kein gutes Haar an dem Kanzler, dem er gerade noch diente. Kurz habe das freundschaftliche Vertrauen der Freiheitlichen missbraucht, um den eigenen Machtbereich zu erweitern, wirft der frühere Innenminister dem ÖVP-Chef vor. Er habe sich am Montag plötzlich nicht mehr an die türkis-blaue Abmachung gehalten, als er auch Kickl als Innenminister absetzen wollte. "Es ging um die Wiederherstellung der alten Machtachse der ÖVP." Nachsatz: "Niederösterreich hat die Macht übernommen."

Da stand dann plötzlich etwas zwischen den Freunden: Der geschasste blaue Innenminister Herbert Kickl erklärt dem türkisen Gerade-Noch-Kanzler Sebastian Kurz warum.
Foto: Christian Fischer

Auch Hofer zeigt sich in seiner Rede erschüttert über Kurz, wenn auch mit sanfteren Worten. Das Projekt Türkis-Blau sei zu leichtfertig aufgegeben worden, findet der designierte FPÖ-Chef. Seiner Ansicht nach sei die Krise zu überstehen gewesen, wenn die ÖVP gewollt hätte.

Als Peter Pilz, der den Antrag der Liste Jetzt – der schließlich nie zur Abstimmung kommt, weil der weitreichendere bereits eine Mehrheit findet – einbrachte, zum Pult schreitet, quittieren das die ÖVP-Reihen mit "Oje"-Rufen. Ob sie schon wissen, dass Pilz den Kanzler gleich mit einer anderen konservativen Zukunftshoffnung, Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, gleichsetzen wird? Einziger Unterschied für Pilz: Kurz sei macht-, Grasser hingegen geldgetrieben. Auch das Schielen aufs Telefon will der dem gleich darauf abgewählten Regierungschef nicht mehr durchgehen lassen: "Tschuldigung, dass ich Sie am Handy störe", kommentiert Pilz süffisant.

"Herbert"

Den Abschlussauftritt will die ÖVP nicht aus der Hand geben. Generalsekretär Karl Nehammer wettert gegen eine Rendi-Wagner-Kickl-Koalition, erklärt "Herbert, das funktioniert so nicht" und erntet für seinen pathetischen Dank beim Kanzler minutenlang Standing Ovations. Bald darauf wird Kurz gehen. Als einfacher ÖVP-Chef. (Katharina Mittelstaedt, Karin Riss, 27.5.2019)