"Probably Chelsea" erstellt auf Basis der DNA der Whistleblowerin Chelsea Manning 30 mögliche Porträts.

Foto: Heather Dewey-Hagborg, Courtesy of the Artist und Iliya Fridman Gallery New York

Ein "AImoji" – ein mithilfe von künstlicher Intelligenz (AI) erzeugtes Emoji von Process Studio.

Foto: Process Studio

Das Computerprogramm Asunda analysiert unseren Planeten und plant ihn neu. Auf drei riesigen Bildschirmen flimmern im Wiener Museum für angewandte Kunst (Mak) Satellitenbilder und Geodaten. Sie umfassen Angaben zur Bevölkerungsdichte eines Landstrichs, seiner Wirtschaftsleistung, seiner Temperatur, dem Niederschlag und Problemen wie Umweltverschmutzung oder Rohstoffknappheit. Auf dieser Basis entwickelt Asunda Lösungsansätze. Braucht das amerikanische Technologiezentrum Silicon Valley viel Kupfer, das es nicht hat? Dann schnappt sich Asunda ein Stück des an Kupfer reichen Kongo und verpflanzt es nach Kalifornien.

Konkret existierende Probleme wie Wasserknappheit in Dubai löst das nicht. Die Arbeit soll allerdings auch weniger Anregungen zum Umbau der Welt liefern denn vor Augen führen, was passieren würde, wenn künstliche Intelligenz vom Menschen losgelöst Entscheidungen treffen könnte.

Geht es nach dem Mak, ist die Zukunft nicht nur ungewiss, sondern vor allem auch unheimlich. Überwachungsstaat, das chinesische Sozialkreditsystem, täuschend echt gefälschte Videoaufnahmen geben der Diagnose recht. Im Rahmen der Vienna Biennale – die heuer unter dem Gedanken "For Change" steht und uns ein lebenswertes Dasein auch noch in 30 Jahren ermöglichen will – geht das Museum deshalb der künstlichen Intelligenz auf den Grund.

Nerds und Geeks

Uncanny Values heißt die Schau und bezieht sich auf den Begriff "Uncanny Valley" des japanischen Roboterforschers Nasahiro Mori, der das Schaudern bezeichnet, das den Menschen erfasst, wenn Roboter ihm zu ähnlich werden. Unheimliche Werte fragt, welche Werte künstlicher Intelligenz zugrundeliegen sollen.

Nerds und Geeks hätten an vielen der 18 ausgestellten Arbeiten ihre Freude. An vielen Stationen blinkt es, glitzern Platinen und winden sich bunte Kabel. Simon Dennys Computerskelette haben zum Beispiel irgendetwas mit Bitcoin, Blockchain und Brettspielen zu tun. Genaues erfährt man allerdings nicht. Bis auf das Surren der Kühlungsventilatoren bleiben die Geräteeingeweide leider stumm.

Es ist nicht das einzige Exponat, das einen ratlos zurücklässt. Der Untertitel der Schau Künstliche Intelligenz & Du schmiegt sich dem Besucher niederschwellig an. Mit Welterklärung bekommt man es in Folge jedoch leider kaum zu tun.

Man kann in der Schau mit drei künstlichen Intelligenzen plaudern, ein hellsichtiges Video zeigt, wohin das Zusammenleben mit Sprachassistenten führt, die sich auf unsere Persönlichkeit einstellen. Es endet bei motivationsschwachen Dialogen darüber, lieber im Bett zu bleiben statt zur Arbeit zu gehen.

Spielereien und Mangelware

Besucher werden auch Zeugen einer selbst tippenden Tastatur. Sie gehört zum ersten vollautonomen Poesiegenerator der Welt, der seit 2001 mithilfe basaler Grammatikkenntnisse krude Sätze zusammenstoppelt. Was damals eine Sensation war, ist heutzutage träge – 2018 wurden von einer Maschine erdichtete Verse in eine Anthologie aufgenommen, bereits 2016 malte ein Roboterarm wie Rembrandt. Als Kuriosum verblüfft das Exponat nicht.

Neben solchen Spielereien sind substanzielle gesellschaftliche Fragen aber Mangelware. Um die macht das Mak leider einen Bogen: Im wahrsten Wortsinn windet sich die Schau um Infotafeln, die Themengebiete wie Gesundheit, Natur, Beziehungen und Politik knapp abhandeln.

Roboter werden in den nächsten Jahren viel Arbeit übernehmen, erklärt etwa ein Wandtext dem mutmaßlich unkundigen Besucher von heute die Welt von morgen – und hat als Antwort darauf selbst nicht mehr parat als die Schlagworte bedingungsloses Grundeinkommen und neue Arbeitszeitregelungen.

Warnung für den Hintern

Unter dem Schwerpunkt Sicherheit wird vor Überwachungssystemen und Totalüberwachung gewarnt. All das sei diskussionsbedürftig, schließen die Zeilen mahnend – diskutiert wird aber auch hier nichts. Stattdessen hängen an der Wand gegenüber Fotografien, die sich mit dem US-Ingenieur beschäftigen, der 1957 den ersten digitalen Bildscanner erfand. Man verbleibt angesichts dessen Arbeitszimmerstuhl erneut ratlos.

Eine griffigere Warnung bietet The Chair Project. Designer haben dafür zusammen mit einem Computer Stühle entworfen. Die körperlose Technologie erdenkt tatsächlich die versprochenen ganz neuen Formen, Zwei der Möbel haben ohne menschliche Kontrolle prompt keine Sitzflächen! Sagen Sie später nicht, man hätte Sie nicht vor Maschinen gewarnt. (Michael Wurmitzer, 29.5.2019)