Sebastian Kurz wirkte beim Abgang von der Regierungsbank mehr als gefasst.

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Man muss Sebastian Kurz keinen üblen Masterplan unterstellen, um zu bemerken, dass sich für ihn gerade alles hervorragend zu fügen scheint. Für seine Erzählung sind die Geschehnisse der vergangenen Tage perfekt: Er, der türkise Star, ist gestürzt. Abgewählt von einer angeblichen rot-blauen Koalition im Nationalrat – obwohl das Volk doch ihn als Kanzler will! Nun steht er da, nach der kürzesten Amtszeit eines regulären österreichischen Regierungschefs überhaupt. Nicht einmal ein Nationalratsmandat hat Kurz noch.

All das passierte, bevor sich Kurz selbst entzaubern konnte. Bevor ihn die Koalition mit der rechtsextremen und offensichtlich machttrunkenen FPÖ in den Augen seiner Anhänger zu sehr beschädigte. Der schnelle Absturz nach dem fulminanten Aufstieg. Doch Kurz lässt sich nicht unterkriegen, ruft er seinen Fans zu: Das Parlament habe ihn vielleicht abgewählt, aber bei den Wahlen im Herbst entscheidet das Volk! Das ist im besten Fall ein grobes Missverständnis der parlamentarischen Demokratie, im schlimmsten der Versuch, sie zu unterminieren.

Ein zweites "Projekt Ballhausplatz"?

Jedenfalls nutzt Kurz diese Erzählung für die nächste Nationalratswahl: Auch ÖVP-Wähler werden besser damit mobilisiert, sich ihren Kanzler zurückzuholen, als ihn zu behalten. Und ein Underdog, der sich ohne Amt an die Spitze zurückkämpft, ist sympathischer als ein Amtsinhaber.

Man muss also auch kein Verschwörungstheoretiker sein, um sich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass Kurz es so wollte. Dass er seine Abwahl nach Ibiza-Gate genauso geplant hat, wie er die Sprengung der rot-schwarzen Vorgängerkoalition schon als Außenminister minutiös im "Projekt Ballhausplatz" vorbereitete, um selbst an die Macht zu kommen.

Mehrheiten muss man finden. Kurz hätte es gekonnt

Denn hätte Kurz bis zur Wahl Kanzler bleiben wollen, hätte er es geschafft. Der ÖVP-Chef ist trotz seines jungen Alters ein erfahrener Politiker. Er weiß, wie man Mehrheiten findet. Hilfreich wäre dafür gewesen, dem Parlament mit der einem Regierungschef gebotenen Demut zu begegnen. Weniger hilfreich war es, den einzigen realistischen Mehrheitsbeschaffer, die Sozialdemokratie, schon zu Beginn damit zu vergrämen, bei der erstbesten Gelegenheit und ohne jegliche Grundlage die Silberstein-Legende wieder aufzuwärmen.

Sebastian Kurz ist demnach entweder ein machtgetriebener Taktierer, der die Spitzenpolitik auch als Spiel begreift. Oder ein ungeschickter und damit letztlich überschätzter Regierungspolitiker, der unabsichtlich als erster Kanzler der Zweiten Republik das Misstrauen des Parlaments erfuhr. Beides sollte Wähler stutzig machen. (Sebastian Fellner, 29.5.2019)