Was geschah, als Großvater starb, genau? Eine Frau horcht in die Geschichte zurück

Foto: Roberta Cacciaglia

Können gelöschte Handyvideos irgendwann wieder rekonstruiert werden? Schwer zu sagen. Die Protagonistin in Azade Shahmiris und Soheil Amirsharifis Stück Voicelessness behauptet es zumindest. Sie hat, um die ungeklärten Umstände vom Tod ihres Großvaters neu zu untersuchen, die Daten angeblich selber wiederhergestellt. Allerdings: Wir schreiben das Jahr 2070, die Technik hat ein indefinites Niveau erreicht. Die junge Frau hat darüber hinaus auch ein Gerät erfunden, über das sie mit der Stimme ihrer im Koma liegenden Mutter kommunizieren kann, die ebenfalls Interesse an der Aufklärung des vermeintlichen Mordes haben muss.

Auf der Bühne des Wiener Hamakom-Theaters kommt diese Koma-Stimme zunächst aus dem Off, dann wird sie einer Frau zugeordnet, die hinter einer transparenten Leinwand als eine Art Avatar der Jungversion der Mutter erscheint. Man hat es hier also mit mehreren Zeiten und Seinszuständen gleichzeitig zu tun, ähnlich den Geisterwelten in den Filmen des Thailänders Apichatpong Weerasethakul, der ebenfalls Gast der diesjährigen Wiener Festwochen ist.

Universelle Themen

Das Dasein – es hat also mehrere Dimensionen, soweit die philosophische Basis des kleinen, weisen Theaterabends aus Teheran. Festwochenintendant Christophe Slagmuylder hat ihn vom Kunstenfestivaldesarts 2017 mitgenommen.

Der Abend ist nicht nur bemerkenswert, weil er die Erwartungshaltung des europäischen Publikums unterwandert, welches das Kunstschaffen aus dem Iran reflexartig auf politische Krisen hin einengt. Sein Thema ist universell und von Regisseurin Shahmiri berückend zart umgesetzt. In der Nachzeichnung von Datenspuren (bildlich wie stimmlich) liegt enorme Theatralität – und am Ende steckt in Voicelessness auch ein veritabler Familienkrimi. (Margarete Affenzeller, 29.5.2019)