"Ausweis bitte"?

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So polemisch der Titel auch klingen mag – der derzeitige Entwurf für das Bundesgesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz scheint die Grundfreiheiten der österreichischen Bürgerinnen und Bürger massiv einzuschränken. Zu Recht? Wohl kaum.

Der Satz "Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein!", mit dem die Regierung von Sebastian Kurz diesen Gesetzesentwurf begründete, lässt die Frage aufkommen: Darf das Internet denn nun stattdessen ein grundrechtsfreier Raum werden?

Daten schützen

Eine der Freiheiten in der Grundrechtecharta zielt darauf ab, Daten von Personen unter besonderen Schutz zu stellen. Jeder Österreicher, jede Österreicherin hat ein Recht darauf. Doch wie lässt sich das mit dem Gesetzestext vereinbaren? Denn dieser ermöglicht Folgendes: Jeder, der Beleidigung oder üble Nachrede sieht beziehungsweise sich selbst davon betroffen fühlt, kann die Identität des Posters verlangen.

Hier ist ganz klar ein hohes Missbrauchsrisiko zu sehen. Beispielsweise könnten Politiker ihnen kritisch gegenüberstehende Personen einfach ausfindig machen, wenn diese ihnen unliebsam ins Auge fallen. Wie soll so eine Art von Missbrauch also verhindert werden? Darüber findet sich weder im Entwurf selber noch in den Erläuterungen eine Erklärung.

Weniger Meinungen

Fakt ist, Demokratie lebt von vielfältigen Meinungen und der Möglichkeit, diese auch mit anderen zu teilen. Da wir uns zunehmend online bewegen, sind Internetplattformen verschiedenster Art zu bedeutenden Trägern im Bereich der Meinungsbildung geworden. Hier soll und darf es keine Einschnitte im Grundrecht der Meinungsfreiheit geben.

Onlineplattformen haben eine große Bedeutung, wenn es darum geht, sich über kontroverse Themen zu informieren und auszutauschen. Die Abschaffung der digitalen Anonymität würde eine enorme Barriere darstellen. Eine von der breiten Masse akzeptierte Meinung würde die Oberhand gewinnen und andere Meinungen außen vor lassen. Man bedenke hier vor allem stark polarisierende Themen der Politik, beispielsweise Klimaschutz oder Flüchtlingsbewegung, aber auch sensible Angelegenheiten wie Whistleblowing. Denn will man sich wirklich kritisch zu einem heiklen Thema äußern, wenn man innerhalb eines Tages identifiziert werden könnte? Man erinnere sich an ein Zitat des US-Journalisten und -Autors Walter Lippmann: "Wo alle das Gleiche denken, denkt keiner viel."

Keine faire Lösung

Facebook, Twitter und Co sind für viele Menschen zu einem täglichen Begleiter geworden. Während sich diese Giganten problemlos über Wasser halten können und kleine Plattformen nicht betroffen wären, können mittlere Plattformen mit beachtlicher Reichweite in ihrer Existenz bedroht werden, wenn sie den Vorgaben nach agieren müssen. Dadurch gerät die Medienvielfalt bedrohlich in Gefahr. Soll es von nun an nur noch Internetriesen und in den Nischen Verschwörer geben? Eine faire Lösung scheint man im Entwurf noch vergeblich zu suchen.

Natürlich ist es sinnvoll, einen Schutz vor Hasspostings und Beleidigungen im Internet zu bieten. Doch der Gesetzesentwurf scheint am Ziel vorbeizugehen. Denn was außer Acht gelassen wird: Es scheitert meist gar nicht an der Anonymität per se. Hassposter betreiben ihre Sache meist ohnehin in eigenem Namen. Die Schwäche liegt also schon heute oft nicht darin, die Personen ausfindig zu machen, sondern eher darin, diese Leute dann belangen zu können. Dadurch wird klar, dass dieser Gesetzesentwurf nicht das wahre Problem anpackt. Eher wirkt dieser wie ein verzweifelter Versuch, Engagement in diesem Bereich vorzutäuschen.

Gleiche Prinzipien

Die Erläuterungen zum Entwurf sprechen von gleichen Prinzipien sowohl in der digitalen als auch in der realen Welt. Woher also die Annahme, sich im digitalen Raum präventiv ausweisen zu müssen? In der sogenannten realen Welt tue ich dies doch auch nicht. Zumal diese Unterteilung etwas lächerlich wirkt. Das Internet ist längst Teil unserer real gelebten Welt geworden – der Gesetzesentwurf sollte daher besser im Jahr 2019 ankommen. Liebe Verantwortliche, das Internet ist nicht surreal – und unsere Grundrechte auch nicht. (Karolin Velkovski, 3.6.2019)