Birken sind überdimensioniertes Unkraut. Das finden zumindest viele der meist adeligen Forstwirte, die 75 Prozent der französischen Waldgebiete bewirtschaften, also rund 12,2 Millionen Hektar. Eichen, Buchen und Eschen sind die wichtigsten Baumarten, ihr hartes Holz ist vor allem in der Bau- und Möbelindustrie begehrt.

In den 1990er-Jahren zogen schwere Stürme Schneisen der Verwüstung durch Frankreichs Wälder. Die entstandenen Lücken füllten meist Birken, die wesentlich schneller wachsen als Bäume aus härterem Holz. "Sie bestehen aber fast nur aus Wasser", ärgerte sich Gilles de Poncins über die Pionierpflanzen. Der Enkel von General Leclerc lebt mit seiner Familie in einem altehrwürdigen Schloss im Dörfchen Belloy-Saint-Léonard in der Picardie, unweit der Mündung der Somme.

Jede Birke hat 200 Liter Saft.
Foto: Eaubouleau

Ein ressourcenschonender Umgang mit den zwanzig Hektar familieneigenem Wald war dem leidenschaftlichen Radfahrer schon immer wichtig. Nur etwa die Hälfte eines Baumes ist als Bauholz verwendbar, der Rest ist Abfall – eine Herausforderung für Gilles, der durch jahrelanges Tüfteln einen Weg fand, verdichtete Holzbriketts herzustellen, die den vierfachen Brennwert von normalen Holzscheiten haben. Ein ökologisch und ökonomisch nachhaltiges Projekt, bei dem nur die Birken sinnlos im Weg herumstanden. Also weg damit.

Mit der Idee, hunderte Bäume einfach umzuhauen, konnte sich jedoch Gilles Tochter Galiane absolut nicht anfreunden.

Wiederentdecktes Heilmittel

Die junge Anwältin hörte sich um, was man sonst noch mit Birken anstellen könnte. Ältere Einheimische erzählten ihr vom Birkenwasser, einem uralten Heilmittel. Das Wissen darum war jedoch verlorengegangen. Galiane wurde hellhörig.

Birkenwasser, fand sie heraus, zählt zu den gesündesten Lebensmitteln überhaupt: Die zweihundert Liter, die in einem Baum zirkulieren, sind äußerst reich an Vitaminen, Mineralien und Aminosäuren. Galiane hatte Neuigkeiten für ihren Vater: Sie würden ihre Birken nicht ausreißen, sondern anzapfen.

Ein Teil landet in der Flasche.
Foto: Eaubouleau

Gilles war rasch überzeugt. Das Problem der schlechten Haltbarkeit des Birkenwassers, das an der frischen Luft fermentiert, lösten Vater und Tochter mithilfe von Limettensaft und einer schonenden Flash-Pasteurisation bei 72 Grad Celsius. Fünf Liter Wasser entnehmen sie pro Baum im Frühjahr, ehe die Knospen aufspringen. Die Wunde in der Rinde wird durch einen Holzpfropfen wieder verschlossen.

Seit 2015 ist das Eaubouleau genannte Birkenwasser nun in Form von Detox-Kuren erhältlich, so gut wie alle Bioläden der Region sowie einige elegante Pariser Hotels bieten das biozertifizierte Getränk im Sortiment an. Durch einen QR-Code auf jeder Flasche wissen die Konsumentin und der Konsument sogar, von welchem Baum ihr Inhalt stammt.

Birkenwasser gilt als ein uraltes Heilmittel.
Foto: Eaubouleau

Acht Tage dauert eine Detox-Kur, bei der man täglich einen Achtelliter Birkenwasser vor dem Frühstück trinken soll. "Es wirkt vor allem auf Leber, Nieren und Bauchspeicheldrüse. Man sieht den Effekt ab der zweiten Kur: Die Haut wird straffer, die Haare glänzen wieder", weiß Galiane dank zahlreicher Rückmeldungen.

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400 Birken zapfen sie und ihr Vater in ihrem Wald derzeit an, doch bald sollen es mehr werden: Schließlich stehen auch in benachbarten Wäldern zahlreiche vermeintlich störende Birken, die sich plötzlich in wertvolle Ressourcen verwandeln.

Seit 2015 ist das Eaubouleau genannte Birkenwasser nun in Form von Detox-Kuren erhältlich.
Foto: Eaubouleau

"Wir sind der einzige Betrieb Frankreichs, der das Know-how hat, Birkenwasser haltbar zu machen, ohne seine Inhaltsstoffe zu verlieren", sagt Galiane de Poncins, die mittlerweile auch ein Erfrischungsgetränk auf Birkenbasis entwickelt hat.

"Damit tragen wir zur Vielfalt unserer Wälder und zu ihrer Regeneration bei. Und zu ihrem Image: Denn für die Menschen in der Picardie ist das Birkenwasser ein Grund mehr, stolz auf ihre waldreiche Region zu sein." (Georg Renöckl, 1.6.2019)