Brigitte Bierlein ist nicht nur ein Kompromiss, auf den sich hoffentlich alle verständigen werden können – sie ist eine Frau. Die erste Bundeskanzlerin.

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Alexander Van der Bellen macht einen guten Job. Einen sehr guten. Das haben ihm viele so nicht zugetraut. Er hat sich seinen Job wohl auch anders vorgestellt. Nicht so turbulent, nicht so stressig, nicht so aufreibend. Er muss eine Krise managen, wie sie Österreich in dieser Form noch nicht erlebt hat. Er betritt als Bundespräsident Neuland, auch juristisch, da gibt es kein Vorbild und keine erprobte Handlungsanleitung – außer der Verfassung, deren Eleganz und Schönheit Van der Bellen in den vergangenen Tagen mehrfach gelobt hat. Und er macht das Beste daraus.

Van der Bellen hat nicht nur schnell gehandelt. Und allein das steht ja schon im Widerspruch zu seiner manchmal umständlich wirkenden Art, wenn er sich für die Formulierungen Zeit lässt, nachdenkt, sich die Zusammenhänge scheinbar erst zusammenholt, ehe er daraus einen Gedankengang formuliert. Van der Bellen hat auch sehr überlegt und konsequent gehandelt. Und er vermittelt den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck, er habe alles im Griff, die Situation sei halb so schlimm. Salopp gesagt: Das kriegen wir schon hin. Eine Krise ja, aber keine Staatskrise, nichts, was nicht mit ein paar Gesprächen auf die Reihe zu bekommen sei.

Die erste Bundeskanzlerin

Mit Brigitte Bierlein hat Van der Bellen jetzt eine Person als Bundeskanzlerin gefunden, mit der nicht nur alle leben können. Bierlein ist nicht nur ein Kompromiss, auf den sich hoffentlich alle verständigen werden können – sie ist eine Frau. Die erste Bundeskanzlerin. Damit hat Van der Bellen auch Geschichte geschrieben. Und das ist ein enorm wichtiges und starkes Signal. Aus dieser Krise, die eine Republik an den Rand der Verzweiflung geführt hat, aus dieser Krise, die uns Männer, Männer und Männer eingebrockt haben, führt uns jetzt eine Frau heraus.

Es war sicher nicht einfach, die Verfassungsgerichtshofpräsidentin zu überreden, diese Herausforderung anzunehmen: Bierlein ist sehr zurückhaltend, wenn irgendwie möglich, meidet sie die Öffentlichkeit, sie hasst das Trara und die Wichtigmacher, sie erledigt ihren Job lieber im Ruhigen und im Hintergrund. Was jetzt kommt, katapultiert sie in den Fokus einer Öffentlichkeit, die aufgebracht und aufgewühlt ist, die von Protagonisten umworben wird, die einander mittlerweile spinnefeind sind, längst nicht mehr nur auf einer politischen, sondern auch auf einer persönlichen Ebene.

Rechtskonservative Mehrheit im Land

Dass Bierlein dem konservativen Lager zugerechnet wird, soll in dieser Situation kein Nachteil sein. Es gibt eine rechtskonservative Mehrheit im Land. Und alles, was diese Mehrheit und deren Vertreter durch ihren Populismus in Verruf und durch ihre Skrupellosigkeit an den Abgrund gebracht hat, ist Bierlein fremd.

Da werden sich mit ihr auch jene Politiker und deren Wähler finden, die sich der anderen Reichshälfte, der linken, der liberalen und der progressiven Reichshälfte, zugehörig fühlen. Das Anliegen, das der Bundespräsident hat und manchmal auch liebenswert verschwurbelt formuliert, das werden Bierlein und ihr Kabinett hoffentlich ohne Querschüsse umsetzen, und das wird von einer absoluten Mehrheit im Land mitgetragen werden: Bringen wir diese paar Monate bis zu den vorgezogenen Neuwahlen mit Anstand, mit Würde, mit Beharrlichkeit und Konsequenz hinter uns, es ist schön, dass diese Monate weiblich geprägt und geführt sein werden, das sollten die Politkasperln dieser Republik nicht zerstören können. (Michael Völker, 30.5.2019)