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Premierministerin Jacinda Ardern sieht das Wirtschaftswachstum nicht als oberste Priorität.

Foto: Reuters

Wellington – Seit einem Jahr hatten die Neuseeländer auf das "erste Wohlbefinden-Budget" der Welt gewartet – und dann wurde es beinahe zum Rohrkrepierer. Mehrere geplante Maßnahmen der sozialdemokratischen Regierung von Premierministerin Jacinda Ardern waren schon im Vorfeld an die Öffentlichkeit gelangt. Grund für den Lapsus war nicht etwa ein Hackerangriff, wie zuerst befürchtet. Auszüge aus dem Budget wurden versehentlich zu früh auf die Website des Finanzministeriums gestellt.

Die Regierung hat die Parameter für den jährlichen Budgetplan erstmals komplett neu definiert. Alle staatlichen Ausgaben werden danach bewertet, ob und in welcher Form sie dazu beitragen, fünf Ziele zu erreichen: die Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bürger, die Reduzierung von Kinderarmut, die Bekämpfung der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen der europäischstämmigen Bevölkerungsmehrheit und den Maori-Ureinwohnern, das Weiterentwickeln des Landes im digitalen Zeitalter sowie die Transformation der Wirtschaft in eine emissionsarme, nachhaltige Zukunft.

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Neuseelands Finanzminister Grant Robertson bei der Präsentation des neuen Budgets.
Foto: AP/Nick Perry

Laut dem Internationalen Währungsfonds soll Neuseelands Wirtschaft 2019 um 2,5 Prozent wachsen, 2020 dann um 2,9 Prozent. Das deckt sich mit den Budgetprognosen der Regierung.

Suizidrate gestiegen

Nicht alle Bewohner würden bisher von der positiven Entwicklung profitieren, sagte Finanzminister Grant Robertson am Donnerstag. Tausende Menschen litten unter "milden bis moderaten psychischen Problemen". 2018 verzeichnete das Land die höchste Suizidrate seit Jahrzehnten. Laut Experten sind die Folgen nicht nur persönliche Unzufriedenheit, Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung. Sie manifestieren sich auch wirtschaftlich – in Form von eingeschränkter Produktivität und reduziertem Konsum. 325.000 Menschen – etwa 6,6 Prozent der Bevölkerung – sollen deshalb bis 2014 von einem neuen, landesweiten psychiatrischen Dienst profitieren, so die Regierung. Bestehende Anbieter würden zusätzliche Mittel erhalten.

Kinderarmut bekämpfen

Über eine stärkere finanzielle Unterstützung von Schulen will Ardern auch den Zyklus der Kinderarmut brechen. Laut Unicef können 27 Prozent der neuseeländischen Kinder die Notwendigkeiten des täglichen Bedarfs nicht decken. Eltern in sozial benachteiligten Gebieten sollen künftig nicht mehr aufgefordert werden, ihren Schulen finanziell zu helfen. Mit neuen Präventivmaßnahmen will Neuseeland auch einem anderen großen Problem an den Kragen gehen, das das Land seit Jahrzehnten quält: Alle vier Minuten wird die Polizei zu einem Fall von häuslicher Gewalt gerufen.

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Ein Mann schläft in Christchurch am Boden. Obdachlosigkeit ist ein zunehmendes Problem in Neuseeland.
Foto: AP/Mark Baker

Auch in die Bekämpfung der Obdachlosigkeit will Ardern in den kommenden Jahren massiv investieren. Die Immobilienhausse der letzten Jahre – nicht zuletzt eine Folge spekulativer Käufe – hat zu rekordhohen Hauskosten und einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum geführt.

Sozialverbände und Experten reagierten überwiegend positiv auf das Budget. Es gehe "die bestimmenden sozialen Faktoren psychischer Krankheiten wie Wohnen, Kinderarmut, Familien- und sexuelle Gewalt" an, erklärt die Mental Health Foundation. Die oppositionelle konservative Nationalpartei dagegen sprach von "Stil statt Substanz".

Umweltschutz stärken

Mit dem Haushaltsplan löst die Premierministerin ein vor der Wahl 2017 gemachtes Versprechen ein, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz auf dieselbe Stufe zu stellen wie wirtschaftlichen Erfolg und Wachstum. Regelmäßig betont sie die Bedeutung, die eine gesunde, zufriedene Gesellschaft für die Produktivität und den wirtschaftlichen Erfolg habe. Gleichzeitig überrascht Ardern mit Aussagen, die in ihrer eigenen Partei für Kritik sorgen. So setzte sie sich für eine Senkung der Zahl der Einwanderer ein, um den überhitzen Immobilienmarkt nicht weiter anzufeuern.

Für Spott sorgte auch das Sujetbild der Broschüre zum neuen Budget. Die darauf abgebildete Frau ist 2018 mit ihrer Tochter nach Australien umgezogen, weil sie sich das Leben in Neuseeland nicht mehr leisten konnte. (Urs Wälterlin, 31.5.2019)