Der Künstler Daniel Rajcsanyi wohnt im 15. Bezirk in Wien und sehnt sich nach absoluter Freiheit. Seine künstlerische Vorliebe für Nacktheit, Körperliches und Klos und Pissoirs spiegelt sich im Wohnen wider.

"Ihr habt die Wohngespräche jetzt seit fast zehn Jahren, und noch nie gab es eine Person, die sich nackt hat fotografieren lassen. Dabei ist Nacktheit doch die purste und konsequenteste Form des Zuhauseseins. Wenn die Jahreszeit und die Zimmertemperatur es zulassen, dann laufe ich nackt durch die Wohnung. Im Winter trage ich, wenn es zu kalt ist, einen Ninja-Suit. Nacktsein ist für mich ein Begriff von Freiheit und Reinheit – und zum Arbeiten ist es essenziell, denn in der Nacktheit, ohne irgendwelche störende Kleidungsstücke am Körper, kann ich mich voll und ganz meiner Welt hingeben.

"Nacktheit ist für mich ein Begriff von Freiheit und Reinheit." Daniel Rajcsanyi zu Hause.
Foto: Lisi Specht

Ich wohne im 15. Bezirk, umgeben von einer energiegeladenen Mischung aus Balkan, Bagdad und Biedermann, auf rund 100 Quadratmetern, die ich zum Wohnen und Arbeiten nutze. Ich teile mir die Wohnung mit meinem Freund Jorgo. Der Wohn- und Arbeitsbereich ist klar getrennt, denn beim Arbeiten brauche ich eine Mischung aus akustischer Ruhe und visuellem Chaos. Mein Atelier ist eine Werkstatt. Früher habe ich in München und Kopenhagen gewohnt, vor zwei Jahren bin ich in Wien gelandet. Wie diese Wohnung zu uns kam oder wie wir zu dieser Wohnung kamen, entzieht sich meiner Erinnerung.

Es ist schwer zu sagen, wie man wohnt, denn über die eigene Wohnung zu sprechen ist, als würde man sich selbst charakterisieren müssen. Die Wohnung ist eine Reflexion von vielen Geschichten und vielen Banalitäten. In erster Linie funktioniert sie. Dann inspiriert sie. Im Besonderen beruhigt sie. Die Möbel sind eine Mischung aus Experiment und Zufall. Die Couch ist von meiner Mutter, der Teppich von meinem Vater, der Schrank schwedisch, das Bücher- und Musikregal eine selbstgebastelte Collage aus Brettern und Weinkellerziegeln, andere Möbelstücke wiederum habe ich irgendwo auf der Straße oder in Hinterhöfen gefunden. Sie gehörten niemanden und wollten mit mir gehen.

Daniel Rajcsanyi nennt seine Möbel eine Mischung aus Experiment und Zufall: die Couch von der Mutter, der Teppich vom Vater, der Schrank schwedisch, das Bücher- und Musikregal eine selbstgebastelte Collage.
Fotos: Lisi Specht

In der gesamten Wohnung sind Artworks aus verschiedenen Episoden meines und unseres Lebens zu sehen. Es hat sich so ergeben, dass eine Farbe immer dominant in meinem Erleben ist. Ich sehe sie dann immer. Aktuell sehe ich Rot und Blau, und dann will ich damit spielen. Dann erst kommen die Materialien hinzu, und zwar relativ spontan. Das können Materialien aus dem Baumarkt oder aus meinem eigenen Körper sein. Ich mache es mir so frei wie möglich. Gefühle sind immer da.

Oft wird auch eine Art Humor transportiert. Ich überrasche mich dabei gerne selber, indem ich Mittel der Irritation oder des Schocks benutze. Der genähte Schriftzug Pride beispielsweise, der über dem Bett hängt, beginnt und endet mit zwei Dildos und zeigt auf diese Weise auf, mit welcher Perversion heute alles Mögliche vermarktet wird. Sogar der Stolz. Das Arschloch, das daneben hängt, ist ein Selbstporträt von mir.

"Der genähte Schriftzug Pride, der über dem Bett hängt, beginnt und endet mit zwei Dildos und zeigt auf diese Weise auf, mit welcher Perversion heute alles Mögliche vermarktet wird."
Fotos: Lisi Specht

Vaginas, Schwänze, Arschlöcher, Pisse und Scheiße sind unverzichtbare Teile des Lebens. Aber wir versuchen, sie in den Keller zu sperren. Dorthin, wo es nicht mehr peinlich ist. Dazu gehören übrigens auch Toiletten. Klos sind magische Orte und haben einen unterschätzten Einfluss auf unser Freiheitsempfinden. Ein Klobesuch ist ein sehr gegenwärtiger Zeitpunkt, in dem man ganz bei sich ist.

Am liebsten mag ich Pissoirs. So wie bei Marcel Duchamp. Ich habe mir selbst sogar ein Pissoir-Tattoo auf meinen Körper gestochen. Auf meinem eigenen Klo in der Wohnung können Besucher mit dem Edding Nachrichten und Telefonnummern hinterlassen. Das ist mein Gästebuch.

Foto: Lisi Specht

Was die Zukunft betrifft: Vielleicht werden wir eines Tages aufs Land ziehen. Ich liebe zwar die Stadt, aber je mehr ich mich dieser Liebe hingebe, desto mehr entsteht zugleich eine Sehnsucht nach Land, nach Ruhe, nach Abgeschiedenheit. Wie ich dann wohnen wollen würde, weiß ich nicht. Land ist immer draußen. Draußen ist Raum für Freiheit." (3.6.2019)