Hans Peter Doskozil hat sich als erster Politiker überhaupt im Amt einen Bart stehen lassen

Foto: APA / Robert Jäger

Anders als Parteichefin Rendi-Wagner nutzte Doskozil das Ibiza-Video flink für sich.

Foto: APA / Robert Jäger

Die Johann-Permayer-Straße ist die politische Schlagader – ja, eh: Aderl – des Burgenlandes. Der kurze, nach einem Eisenstädter Bürgermeister des 19. Jahrhunderts benannte Straßenzug verbindet das Landhaus mit dem roten Haus, der SPÖ-Zentrale. Dieser gegenüber liegt das Café Servus; jenem gegenüber das Café Landhaus, das Altgediente auch "rotes Loch" nennen, obwohl es seit langem schon quer durchs Farbenspektrum von jedermann gerne aufgesucht wird. Und biegt man nach dem roten Haus ums Eck, gelangt man – zweimal umfallen – zum schwarzen.

Diese Permayerstraße wird, so heißt es in all den dortigen Lokalitäten, bis auf weiteres das politische Lebenszentrum des Hans Peter Doskozil bleiben. Die Wiener Löwelstraße muss warten. Oder kann aufatmen, je nachdem. Die nach Hans Christoph von Löbl, einem Kommandanten der Stadtguardia im 16. Jahrhundert, benannte Straße verbindet die Bundeszentrale der SPÖ mit dem Ballhausplatz. Oder, so wie’s grad ausschaut, sie trennt jene von diesem.

Viele in der SPÖ trauen Hans Peter Doskozil zu, das wieder zu ändern. Manche sogar nur noch ihm. Einem Mann, der – man neigt komischerweise dazu, das zu vergessen – vor nicht einmal vier Jahren erst an die Rampe der höheren Politik geraten ist.

Nicht ungeplant. Aber doch unverhofft, hochgetragen in und von der Grenzkrise des Jahres 2015, in welcher der burgenländische Polizeichef an manchen Tagen den Eindruck erweckt hat, er wäre der Einzige, der gerade nicht den Kopf verliert.

Eigensinnige Sturschädel

Seit Anfang März ist er Landeshauptmann und achtet wie sein Vorgänger Hans Niessl darauf, dass ihm niemand aus der Löwelstraße ins pannonische Handwerk pfuschen möge. Als Andreas Schieder, EU-Spitzenkandidat, das burgenländische Rot-Blau kritisierte, verbat Doskozil sich "solche Zurufe". Denn: "Ich richte dem Andi Schieder ja auch nicht aus, welche Inhalte er im EU-Wahlkampf thematisieren soll."

Na ja: nein. Denn diesbezüglich ist man in der Permayerstraße auch nicht mundfaul. Das war man schon unter Hans Niessl nicht, der sich sein Parteirebellentum allerdings über viele Jahre hart erarbeitet hat. Doskozil hat den Keppel-Hof übernommen und führt ihn mit Geschick weiter.

Vielleicht – so heißt es manchmal nicht nur im roten Loch – sind die Burgenländer nun für Rot, was einst die Steirer für Schwarz gewesen sind: eigensinnige Sturschädel, denen die von Wien beschworene Geschlossenheit vor allem eins ist: powidl.

Fundamentale Frage

Man kann die seit Niessl sich hochschaukelnde Geschichte der Verwerfungen zwischen der Löwel- und der Permayerstraße auch über Persönliches erzählen. Zum Beispiel über den Rücktritt von Christian Kern als Parteichef, mit dem er im vergangenen Herbst so lange zugewartet hat, bis Doskozil als Landesparteichef gewählt, als Landeshauptmann designiert und damit im Burgenland festgenagelt worden ist.

So reizvoll solche Gschichtln sind. Im Konflikt zwischen Permayer- und Löwelstraße geht es schon auch um Fundamentaleres, nicht nur um Intrigen, die freilich zum politischen Geschäft halt dazugehören. Es geht schon auch um die entscheidende Frage: Wie geht Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert?

Doskozil ist nicht der Einzige, der die Antwort darauf nicht mehr mit gelehrtem Kopfwiegen geben möchte. Dass dabei die Sprache zuweilen derber daherkommt, sozusagen mit Kot an den Stiefeln, stört ihn nicht.

Als der Tiroler Hutschenschleuderer, Landesparteichef Georg Dornauer, sich mit seiner inkorrekt losen Zunge den Zorn der SPÖ-Frauen und der Parteichefin zugezogen hat, sprang ihm der Burgenländer unverzüglich bei.

Hans Niessl hatte stets davon gesprochen, dass es halt eine urbane und eine weniger empfindsame ländliche Sozialdemokratie gebe. Nils Heisterhagen, der junge SPD-Philosoph, sagte es im STANDARD so: "Man muss schon dorthin schauen, wo es brodelt, riecht und stinkt." Nicht zufällig hat Doskozil in einem STANDARD-Kommentar Heisterhagen genüsslich zitiert.

Handzahme Blaue

Im Burgenland will er nun zeigen, worüber die Philosophen nur schwadronieren können. Schon bis zur vorgezogenen Landtagswahl im Jänner 2020 sollen die Leitprojekte – Biowende, Pflegemodell und vor allem der landesnahe Mindestlohn von 1700 Euro netto – umgesetzt oder wenigstens auf Schiene gebracht sein.

"Jeder, der Vollzeit arbeitet, soll von seinem Lohn gut leben können", sagt er. Die politische Debatte wolle er so auch zurücklocken auf altes, klassisch sozialdemokratisches Terrain.

Die Chance, seine Idee von sozialdemokratischer Politik umsetzen zu können, so weit halt der Einfluss eines Landeshauptmanns reicht, wird Hans Peter Doskozil sich nicht entgehen lassen. Die aus der Löwelstraße können – meinen die im roten Loch und im Café Servus – beruhigt sein. Freilich nur, solange sie die Permayerstraße in Ruhe lassen – vor allem mit dem Herumschiedern an der rot-blauen Zweckgemeinschaft.

Die Ibiza-Affäre – die die Löwelstraße merkwürdigerweise in eine solche Bredouille gebracht hat, dass alle nur noch über das mögliche Ende der Pamela Rendi-Wagner reden – hat Doskozil, nicht weniger merkwürdig, geholfen. Den Videoschock nützend, hat er den Partner im Handumdrehen handzahm gestreichelt.

Vor Ibiza haben die Blauen sich bei einigen Herzensprojekten ja zunehmend störrisch gezeigt. Gestört hat sie vor allem, dass Doskozil ein ums andere Mal erklärt hat, er wolle zeigen, was es bedeutet, wenn wo wirklich sozialdemokratisch regiert wird. Ganz so, als gebe es den blauen Partner nicht. Jetzt gibt es ihn tatsächlich kaum noch. Nur als rotes Protektorat.

Hemdsärmeliger Wille zur Macht

Was Hans Peter Doskozil zu einem Wortführer jener gemacht hat, die der SPÖ wieder die alten Kanten schleifen wollen, ist nicht seine theoretische Brillanz und schon gar nicht der Umstand, dass er burgenländischer Landeshauptmann ist, eine traditionell biedere, hausbackene Position.

Doskozil ist ein Tuer – oder erweckt den Eindruck, einer zu sein. Einer, der nicht lange fackelt. Er hat, was vielen in der Löwelstraße offenbar fehlt: den hemdsärmeligen Willen zur Macht.

Das versteckt er nicht. Und sich auch nicht. Selbst dort, wo es seinen Beratern die Haare aufstellt, ist er, wie er halt ist. Nie wirkt es, als käme ihm ein Coach auch nur nahe. Alles, was Doskozil sagt, sagt Doskozil.

Und nicht der, den wer hergerichtet hat, so einer zu sein, wie einmal ein anderer gewesen ist. Das geht nicht immer gut. Manchmal rutscht ihm unbeholfen etwas heraus, so wie die Forderung nach Sicherungshaft für alle.

Häufig sieht man ihn mit den Händen im Hosensack, ohne dass es wirkt, als würde er den Michael Häupl imitieren. Oft lümmelt er. Praktisch immer hat er keine Krawatte um. Seine Stimmbandprobleme, die es ihm verunmöglichen, die Stimme zu erheben, ergänzen das Bild des Ruhigen beinahe zum Charakter des In-sich-Ruhenden.

Entscheidende Wahlen

Als erster Politiker überhaupt hat er sich im Amt einen Bart stehen lassen. Traditionell ist das – Bruno Kreisky, Erhard Busek – das Zeichen der Emeritierten, jetzt frei zu sein. Doskozil wird allerdings demnächst erst 49 und hat gerade erst begonnen.

Freilich: Jetzt muss er einmal wirkliche Wahlen gewinnen, nicht nur Umfragen. Die EU-Wahl war ein Desaster. Erstmals seit 55 Jahren ist die SPÖ nicht mehr stärkste Partei im Burgenland.

Im roten Loch wartet man also gespannt, was man sich im roten Haus einfallen lassen wird für die Landtagswahl im kommenden Jänner. Erst dann wird sich sagen lassen können, was dieser Hans Peter Doskozil für seine Partei ist: ein Hoffnungsträger oder doch nur jener Gottseibeiuns, den so mancher Löwelstraßler in ihm sieht. (Wolfgang Weisgram, 1.6.2019)