Die Begeisterung für die neue Kanzlerin Brigitte Bierlein und ihre Expertenminister auch den Ärger über ständige Parteientaktiererei und Koalitionsstreitereien wider.

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Altkanzler Sebastian Kurz ist, wie er im STANDARD und anderen Medien verlauten ließ, "nicht in der Stimmung, um über Koalitionen nachzudenken". Diese Unlust hat offenbar die ganze Republik erfasst. Die Begeisterung für die neue Kanzlerin Brigitte Bierlein und ihre Expertenminister spiegelt auch den Ärger über ständige Parteientaktiererei und Koalitionsstreitereien wider. Wie schön wäre es, wenn eine Regierung einfach nur regieren würde – und dies mit breiter öffentlicher Unterstützung?

Doch diese Hoffnung trügt. Demokratische Politik entsteht im Widerstreit unterschiedlicher Weltanschauungen und Interessen, der erst von der Wählerschaft bewertet und dann in Parlamenten und in Regierungen ausgefochten werden muss. Ein allumfassender Konsens ist das Zeichen von Diktaturen; ihn darf es in einer Demokratie nur in Ausnahmefällen geben.

Das spricht nicht dagegen, dass Bierlein und ihre Minister das Land einige Monate lang verwalten. Aber dann müssen wieder Parteien und ihre Vertreter ans Werk. Und die haben keine Wahl, als Koalitionen mit andersdenkenden Parteien zu bilden und diese zum Funktionieren zu bringen.

Mühsame Kompromisse

Da sich für Kurz auch das nächste Mal die Absolute nicht ausgehen wird und selbst eine ÖVP-Neos-Mehrheit wenig wahrscheinlich ist, wird er im Herbst mit der SPÖ, der FPÖ oder mit Neos und Grünen ein Bündnis schmieden müssen, das diesmal auch halten sollte. Darüber nachzudenken kann er gar nicht früh genug beginnen.

Denn Koalitionsarbeit ist nicht attraktiv. Sie erfordert mühsame Kompromisse, die von der eigenen Basis, den Medien und auch den Wählern gerne als Umfaller gebrandmarkt werden. Selbst eine Partei wie die SPD, die sich inhaltlich in der Berliner "GroKo" oft durchsetzt, wird an der Wahlurne dennoch abgestraft.

Auch deshalb träumen gerade viele Bürgerliche von einem Mehrheitswahlrecht. Doch auch das garantiert keine stabilen Regierungen, wie man in Großbritannien sieht, und passt so gar nicht in die wachsende Vielfalt der politischen Landschaft. Es gibt heute nicht mehr zwei große Lager, die um ein paar Stimmen in der Mitte kämpfen, sondern zahlreiche unterschiedliche Strömungen, die alle in einem Parlament repräsentiert sein wollen und sollen. Aus einem solchen Kaleidoskop stabile Regierungen zu formen verlangt eine andere Koalitionskultur als die der vergangenen Jahre.

Mehr Respekt

In den rot-schwarzen Regierungen sah man einander meist als Gegner, nicht als Partner und ließ keinen Tag ohne Sticheleien vergehen. Bei Türkis-Blau wiederum kehrte Kurz alle Differenzen unter den Teppich – mit der Folge, dass die FPÖ dies als Freibrief nutzte, bis die Koalition schließlich explodierte. Wie man in einer Koalition miteinander inhaltlich debattiert, ohne dabei Wunden zu schlagen und Brücken zu zerstören, hat seit langem keine Partei gezeigt.

Helfen würde es, wenn Parteien schon vor einer Wahl signalisierten, mit wem sie danach koalieren wollen. Vor allem bei der ÖVP ist dies eine Richtungsfrage, die nicht vom so gerne beschworenen Wählerwillen abhängen wird. Und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner könnte mit einer klaren Ansage Kurz' Gerede von der neuen "Kickl-Rendi-Koalition" beenden.

Aber auch Medien und Wähler sollten der Koalitionspolitik mehr Respekt entgegenbringen. Ein erster Schritt wäre es, die Regierung Bierlein als das zu sehen, was sie ist: eine Notlösung, nicht eine bessere Alternative. (Eric Frey, 31.5.2019)