Erzählt von Paaren auf dem Glatteis: der Schweizer Autor Martin R. Dean.

Foto: Claude Giger

In seinem zweihundertsten Brief an Felice Bauer beschlich Franz Kafka ein schrecklicher Verdacht. "Kannst Du eigentlich meine Schrift lesen?", fragte er die Angebetete. Sie konnte und hatte auf die verstörenden Briefe des Autors stets geantwortet. Kafkas Hoffnung, die Liebe möge ihn in einen Menschen verwandeln, "der des Selbstverständlichsten fähig ist", sollte sich nicht erfüllen. Vielmehr erwies er sich nach einigen Ver- und Entlobungen als notorischer Heiratsflüchtling.

Es ist kein Zufall, dass der Schweizer Autor Martin R. Dean (63) seinen neuen Roman Warum wir zusammen sind mit einem Kafka-Zitat über die Ehe eröffnet und so den Leser von der ersten Seite an auf das Glatteis moderner Beziehungen führt. Alles beginnt am letzten Tag des Jahres 1999 auf einer Kunsteisbahn. Sieben Paare haben sich hier getroffen, um in das neue Jahrtausend zu gleiten – oder zu taumeln.

Banken- und andere Krisen

Auf wenigen Seiten bringt Dean die Themen Treue und Verrat, Täuschung und Selbsttäuschung, Sehnsucht und Eifersucht ins Spiel, die den Roman grundieren. Ort der Handlung ist Basel, eine für Schweizer Verhältnisse große Stadt im Norden des Landes. Angesiedelt ist das Buch im Milieu von Bobos, die an der Schwelle zum 40. Lebensjahr stehen. Man fährt Porsche und Alfa, ist Chefarzt, Nachrichtensprecherin, Unidozent, Therapeutin, Architekt, Übersetzerin oder schlicht Millionär. Klingt schauerlich, gibt es aber nicht nur in der Schweiz. Dean schafft es jedoch, das Buch auf den Boden sozialer Realitäten zu bringen, indem er das Figurenpersonal durch ein Aussteigerpaar (Ökoaktivisten) und einen freien Journalisten ergänzt.

Erzählt wird das Geschehen abwechselnd aus den Perspektiven der Übersetzerin Irma und ihres Mannes Marc, der sein eigenes Architekturbüro leitet. Die beiden haben einen Sohn: Matti. Nach dem kurzen ersten Kapitel auf der Eisbahn blendet Dean im zweiten und längsten Teil des Romans ins Jahr 2010. Die Paare sind älter geworden, auch die Bankenkrise hat Spuren hinterlassen. Die gesellschaftlichen und privaten Spannungen steigen. Dean zeigt das subtil, indem die sich anfangs ergänzenden Erzählperspektiven Irmas und Marcs auseinanderdriften.

Es ist viel Unausgesprochenes in der Ehe der beiden, das Auswirkungen auf alle Lebensbereiche hat – auch auf den Sex. Nach und nach gerät der harmlose Plot so zu einem Seelen-Thriller, der am Schluss einige das Leben kostet.

Ausweitung der Kampfzone

Alle Paare kommen im Verlauf des Buches ins Trudeln. Die einen betreiben die Ehe wie "eine Firma, die an die Börse will", andere leben die Polyamorie oder versuchen die Beziehung durch Verträge abzusichern – sie alle scheitern. Ein Buch über das Scheitern ist Warum wir zusammen sind trotzdem nicht, obwohl viele Aspekte anklingen, die in den letzten Jahren diskutiert wurden. Etwa die Ausweitung der ökonomischen Kampfzone mit ihrem Effizienz- und Optimierungsdenken ins Private hinein.

Mehr interessiert Dean jedoch, wie Beziehungen funktionieren könnten. Und tatsächlich öffnet er seinen auf anziehende Weise durchschnittlichen Figuren im dritten Teil des Romans ein paar Notausgänge. Einen davon zeigt der (fiktive) Schriftsteller Dupral auf, dessen Roman Die Vergebung der Wünsche Irma gerade übersetzt. In weiten Teilen handelt es sich beim Buch des Franzosen um Pornografie oder "Fotzentittenmösenschwanzprosa", wie Marc meint.

Dass es gerade der scheinbare Zyniker Dupral ist, der bei einem Treffen mit Irma alles in eine unerwartete Richtung dreht, ist eine der Überraschungen, die dieser ernsthafte, dichte und nie humorlose Roman bereithält. (Stefan Gmünder, 4.6.2019)