Laut einem Sprecher des Verkehrsministeriums dauert die Testphase der 140-km/h-Strecken noch bis zum Sommer, dann folgt eine Evaluierungsphase.

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Frage: Österreich bekommt jetzt also eine provisorische Expertenregierung. Was sagt die Verfassung dazu?

Antwort: Wenig. Die Bundesverfassung unterscheidet nicht zwischen Politiker- oder Expertenregierung. Rein theoretisch hat das Kabinett der designierten Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein genau gleich viele Befugnisse wie alle Bundesregierungen davor, sagt der Verfassungsrechtler Heinz Mayer: "Es gibt nur eine Bundesregierung, die hat – wie immer sie genannt wird – dieselben Kompetenzen."

Frage: Und welche sind das?

Antwort: Streng genommen: Verwaltungsarbeit auf Grundlage der Gesetze.

Frage: Was kann Bierleins Regierung jetzt praktisch tun?

Antwort: Realpolitisch weniger als eine "normale" Regierung. Die kann sich ja dank einer Koalition oder einer absoluten Mehrheit bei ihren Vorhaben auf eine sichere Mehrheit im Nationalrat verlassen. Die Übergangsregierung müsste sich für jedes Gesetz eine neue Mehrheit suchen. "Es könnte durchaus sein, dass eine Mehrheit im Nationalrat diese Regierung ersucht, einen Gesetzesentwurf vorzulegen", sagt Mayer. Etwa falls sich zwei der großen Parteien auf neue Regeln zu Parteienfinanzierung und -transparenz einigen. Die Regierung müsse allerdings aufpassen, nicht "zwischen die Mühlsteine der Parteien" zu geraten, sagt Mayer. Sowohl Bierlein als auch Van der Bellen haben bereits angekündigt, dass die Regierung selbst keine großen Initiativen setzen wird.

Frage: Was kann die Regierung denn ohne Parlament tun?

Antwort: Gar nicht so wenig. Die einzelnen Minister können Verordnungen erlassen und damit gesetzliche Regelungen näher bestimmen. Und natürlich können sie Verordnungen ihrer Vorgänger rückgängig machen, so wie das der aktuelle Innenminister Eckart Ratz bereits getan hat: Er hat die Verordnung seines Vorgängers Herbert Kickl (FPÖ) zurückgenommen, die den Stundenlohn für gemeinnützige Arbeit von Asylwerbern mit 1,50 Euro begrenzte. Außerdem hat Ratz die Bestellung von Kickls Generalsekretär Peter Goldgruber zum Generaldirektor für öffentliche Sicherheit zurückgenommen. Des Weiteren hat Ratz das wenige Wochen zuvor montierte Schild "Ausreisezentrum" auf dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen wieder entfernen lassen.

Frage: Das heißt, eine solche Expertenregierung kann das eine oder andere Prestigeprojekt der Vorgängerminister wieder aufheben?

Antwort: Ja, sofern es dafür keine Änderung der gesetzlichen Grundlage braucht. Das könnte auch die berittene Polizeipferdestaffel betreffen, ebenfalls eine Idee Kickls: Auch sie wurde nur per Verordnung eingerichtet, Parlamentsbeschluss brauchte es dafür keinen. Genauso schnell und einfach könnte das Projekt nun auch also wieder gestoppt werden.

Frage: Und jene Teststrecken auf der Westautobahn, auf denen man dank Ex-Verkehrsminister Norbert Hofer 140 Stundenkilometer schnell fahren darf?

Antwort: Die könnte ebenfalls abgedreht werden, auch sie fußte nur auf einer Verordnung des Ministers. Eine andere Variante ist allerdings wahrscheinlicher: Laut einem Sprecher des Verkehrsministeriums dauert die Testphase der 140-km/h-Strecken noch bis zum Sommer, dann folgt eine Evaluierungsphase. Möglich und weniger heikel wäre es also, das Projekt einfach sanft entschlafen zu lassen.

Frage: Abgesehen von solchen Projekten: Welche realpolitische Macht haben die Übergangsminister in ihren Ressorts?

Antwort: Der Verfassungsexperte Mayer geht davon aus, dass die Minister Kraft ihrer "Autorität und Expertise gewisse Dinge steuern können". Der Justizminister hätte etwa die Möglichkeit, die Staatsanwaltschaften freier agieren zu lassen oder bestimmte Verfahren zu beschleunigen. Das alles würde in der geltenden Hierarchie des Ministeriums passieren. Auch andere Minister könnten Vorhaben, die ihr Vorgänger vielleicht eher schleppend verfolgt hat, etwas beschleunigen.

Frage: Was ist mit anderen türkis-blauen Vorhaben?

Antwort: Fix kommt die neue Sozialhilfe – sie wurde bereits vor dem Ende der Koalition im Parlament beschlossen. Um das zurückzunehmen, brauchte die Übergangsregierung eine Mehrheit im Nationalrat, die sich nicht abzeichnet. Das Gleiche gilt im Übrigen für das Rauchverbot in Lokalen. Anders die Steuerreform: Die wichtigsten Beschlüsse dafür sind derzeit nur angekündigt und noch nicht in Gesetze gegossen.

Frage: Ist das alles demokratiepolitisch eigentlich in Ordnung? Immerhin wurde die neue Regierung ja nicht gewählt.

Antwort: Das war die vorige Regierung auch nicht. In Österreich ernennt der Bundespräsident die Mitglieder der Bundesregierung – dass diese einer der Parteien im Nationalrat angehören, ist üblich, aber nicht zwingend notwendig. Ihre demokratische Legitimation erhält die Regierung durch das Vertrauen des Parlaments – besser gesagt: durch das fehlende Misstrauen. Sie bleibt so lange im Amt, bis ihr der Nationalrat das Misstrauen ausspricht. Oder bis sie der Bundespräsident nach einer Neuwahl ihres Amtes enthebt, weil sich eine neue Regierung gebildet hat. (Sebastian Fellner, 1.6.2019)