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Nicola Zingaretti konnte den freien Fall der Sozialdemokraten aufhalten.

Foto: AP/Angelo Carconi/ANSA

Es kommt selten vor, dass Parteiführer in Jubel ausbrechen, wenn sie gerade die Hälfte ihrer Wähler verloren haben. Doch genau ein solcher paradoxer Freudenausbruch war am Sonntag im Römer Hauptquartier des sozialdemokratischen PD (Partito Democratico) zu beobachten: Als die ersten Resultate der Europawahl bekanntgegeben wurden, strahlten PD-Chef Nicola Zingaretti und Ex-Premier Paolo Gentiloni um die Wette. Man hatte 23 Prozent erreicht und konnte damit die regierende Fünf-Sterne-Bewegung auf den dritten Platz verweisen. Bitterer Nachgeschmack: Bei den Europawahlen 2014 hatte der PD noch 41 Prozent erreicht.

Der Grund für die dennoch ausgelassene Stimmung bestand darin, dass die Sozialdemokraten trotz massiver Verluste ihren bis dahin freien Fall in der Wählergunst aufhalten konnten: Bei den Parlamentswahlen 2018 waren sie als Regierungspartei auf 18,7 Prozent abgestürzt – das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte. Nach dem Desaster, das der Bildung der aktuellen populistischen Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung den Weg ebnete, war der PD in monatelange Schockstarre gefallen.

Verwässertes linkes Profil

Der PD ist in derselben Identitätskrise, in der sich viele sozialdemokratische Parteien in Europa befinden. Der frühere Partei- und Regierungschef Matteo Renzi (2014–2016) hatte das schon zuvor nicht sehr ausgeprägte linke Profil zusätzlich verwässert: Renzis Hauptproblem schienen die Gewerkschaften zu sein – und nicht die Jugendarbeitslosigkeit von 40 Prozent oder die Hungerlöhne in vielen Branchen.

Für viele Linkswähler unverzeihlich war auch der fragwürdige Deal mit Libyen gewesen, mit dem Gentilonis Innenminister Marco Minniti ab Mitte 2017 die Zahl der Bootsflüchtlinge reduzierte. Wer die Augen verschließt vor den Zuständen in den libyschen Folterlagern, wirkt nicht besonders glaubwürdig, wenn er danach die Politik der geschlossenen Häfen seiner Nachfolger kritisiert.

Endlose Flügelkämpfe

Erschwerend hinzu kamen die endlosen Flügelkämpfe in der Partei. Wie gelähmt man war, lässt sich am besten am Umstand ablesen, dass der PD ein volles Jahr brauchte, um für Parteichef Maurizio Martina, der das Wahldebakel mitverantwortet hatte, endlich einen Nachfolger zu wählen. Eine unschöne Rolle spielte dabei Ex-Premier Renzi, der die Suche nach einem neuen Chef immer wieder mit der Drohung torpedierte, eine eigene Partei zu gründen, falls die Wahl auf jemanden fallen sollte, der ihm nicht passt. Vor der Europawahl verhielt sich Renzi ausnahmsweise ruhig – aber welche Pläne er verfolgt, weiß man im Grunde heute noch nicht.

In den knapp drei Monaten seit seiner Wahl zum neuen Parteichef ist es dem unaufgeregten, aber auch ziemlich uncharismatischen Zingaretti gelungen, den – wie er es selbst genannt hat – "Vietnamkrieg" in seiner Partei zu beenden oder zumindest einen Waffenstillstand zu erreichen. Dies dürfte der wichtigste Grund dafür sein, dass beim bereits totgeglaubten PD nach den Europawahlen zumindest noch der Puls spürbar ist.

Zingaretti hat seine Partei wieder etwas weiter links von der Mitte positioniert und ihr einen grünen Anstrich verliehen. So fordert er in seinem vor den Europawahlen vorgestellten "Plan für Italien" einen Mindestlohn von 1500 Euro sowie zweistellige Milliarden investitionen in nachhaltige Wirtschaft und in die Bildung.

Aber Zingaretti weiß selber: "Die 23 Prozent vom Sonntag sind bloß ein Anfang. Der Weg zurück an die Regierung ist noch weit."