Hamburg – Der "Spiegel", selbst erst vor kurzem mit einer umfassenden Fälschungsaffäre konfrontiert, deckt nun einen anderen Fall von Täuschung auf: Die deutsche Bloggerin Marie Sophie Hingst soll große Teile ihrer Familiengeschichte erfunden haben. Sie schrieb über die angeblichen jüdischen Vorfahren auf ihrem Blog "Read on my dear, read on" – er ist mittlerweile offline. Außerdem soll sie das Archiv der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem getäuscht haben, indem sie dort die Namen von 22 angeblichen Holocaust-Opfern meldete.

In Wahrheit, schreibt der "Spiegel", stamme Hingst aus einer evangelischen Familie, das würden Unterlagen des Stadtarchivs Stralsund belegen. Von den angeblichen Holocaust-Opfern hätten nur drei wirklich gelebt. Ihre Familiengeschichte sei "bis auf einige Namen frei erfunden", stellten Archivare des Stralsunder Stadtarchivs fest.

Mehrfache Preisträgerin

Wie auch Claas Relotius, um den sich die jüngste Fälschungsaffäre drehte, ist Hingst in Fachkreisen keine Unbekannte: Sie moderierte Podiumsdiskussionen für den Förderkreis des Berliner Holocaust-Denkmals und engagierte sich in der Jewish Society ihrer Universität, des Trinity College Dublin. Außerdem wurde sie beim Preis "Die Goldenen Blogger" in der Kategorie "Blogger des Jahres" ausgezeichnet, erst heuer veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel "Kunstgeschichte als Brotbelag". 2018 erhielt Hingst für einen Essay den "Future of Europe"-Preis der "Financial Times".

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Deutsche Medien durchwühlen Archive

Mehrere Deutsche Medien sind nun im Begriff, Texte zu prüfen und von ihren Websites zu entfernen. Die "FAZ" nimmt ein Interview offline, das sie vor zwei Jahren mit Hingst, wenn auch anonym, geführt hatte. Man habe die Identität der Gesprächspartnerin damals überprüft, es habe keinen Anlass gegeben, an ihren Erzählungen zu zweifeln, schreibt die "FAZ".

Auch im Deutschlandfunk soll Hingst unter dem Pseudonym "Marie-Sophie Roznblatt" aufgetreten sein. Man habe keinen Anlass gehabt, "an der Glaubwürdigkeit der Geschichte zu zweifeln", teilt das Deutschlandradio dem "Spiegel" mit. Im Nachhinein sei das "möglicherweise zu nachlässig" gewesen.

Die "Zeit" veröffentlichte zwei Gastbeiträge Hingsts. Schon 2017 kamen Zweifel an deren Inhalten auf, schreibt das Medium heute, jedoch habe man diese damals "weder bestätigen noch ausräumen" können, Hingst habe man schlicht nicht erreicht. Kürzlich seien die Inhalte erneut geprüft und als gefälscht entlarvt worden. "Aus Transparenzgründen" will die "Zeit" den ursprünglichen Beitrag noch einige Tage online lassen. (elas, 1.6.2019)