Downing Street Nr. 10 – der Amtssitz der britischen Premierministerin wie derzeit, oder des britischen Premierministers. Für den Fall, dass ein "Caretaker Government" im Amt ist, gibt es im Vereinigten Königreich ein eigenes Cabinet Manual mit Regeln.

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Politikwissenschafterin Melanie Sully leitet in Wien das Go-Governance-Institut.

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Im Englischen heißt das, was in Österreich jetzt im Entstehen ist, "Caretaker Government". Das bedeutet wörtlich übersetzt "Hausmeisterregierung", was vielleicht etwas komisch anmutet, aber im Kern genau das meint, was das Kabinett Bierlein bis zur Wahl leisten soll: schauen, dass der Laden läuft.

Was bedeutet das genau? Was darf eine Übergangsregierung, und was nicht? Was muss sie tun? Was soll sie unterlassen? Auf dem Papier hat sie nach der Ernennung durch den Bundespräsidenten alle Rechte wie jede durch eine reguläre Wahl zustande gekommene auch. Das heißt: Theoretisch darf sie gemäß Verfassung voll regieren. Nur praktisch eben nicht.

Darauf hat auch ÖVP-Chef Sebastian Kurz hingewiesen, bevor er das Kanzleramt durch Misstrauensentzug im Parlament verlor. Er beschrieb nach seiner Aufkündigung der Koalition mit der FPÖ das Selbstverständnis der von ihm damals bis zur Wahl geplanten Minderheitsregierung so: "Eine Übergangsregierung hat eine andere Aufgabe als eine klassische Regierung. Jetzt geht es nicht um Reformen, sondern um Stabilität und ordentliche Führung der Ressorts bis zur Wahl."

Politische Usancen und Regierungshandbücher

Anders als in Österreich gibt es in anderen Ländern für solche Interimsregierungen, die das politische Haus vorübergehend in Schuss halten sollen, über anerkannte politische Usancen hinausgehende, konkretere Vorgaben, erklärt die britische Politikwissenschafterin Melanie Sully im STANDARD-Gespräch: "Die Palette reicht von informellen Konventionen und Formen der Staatspraxis über verfassungsgesetzliche Vorschriften bis hin zu konkreten Richtlinien in Form von Regierungshandbüchern."

  • Niederlande / Belgien Beide Länder, die für die Bildung einer neuen Regierung meist recht lange brauchen, stützen sich auf ungeschriebene Konventionen, die besagen, dass eine Caretaker-Regierung in ihrer Amtszeit keine kontroversiellen Maßnahmen setzt.
  • Portugal / Spanien In diesen Ländern gibt es verfassungsrechtliche Bestimmungen, die den Spielraum eines Übergangskabinetts begrenzen. In Portugal beschränkt die Verfassung den Regierungsfreiraum auf unbedingt notwendige Maßnahmen zur Sicherung der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten. In Spanien ist einem Übergangskabinett ausdrücklich verboten, ein Budget zu beschließen, Gesetzesvorlagen ans Parlament zu übermitteln oder ein Referendum anzusetzen. "Die Regierung soll sich in Spanien in so einer Phase im Hintergrund halten", sagt Sully.
  • Kanada Laut kanadischer "Caretaker Convention" von 2015 soll sich eine Übergangsregierung "in Fragen der Politik, der Ausgaben und der Ernennungen" auf Aktivitäten beschränken, die Routine oder nichtkontroversiell oder dringend und im öffentlichen Interesse sind oder von einer neuen Regierung ohne unangemessene Kosten oder Störung rückgängig gemacht werden können oder für die die Zustimmung der Opposition angebracht ist.
  • Neuseeland / Vereinigtes Königreich / Irland Eigene "Cabinet Manuals" oder "Handbooks" halten in Neuseeland, im Vereinigten Königreich und in Irland fest, dass sich so eine Regierung durch Zurückhaltung auszeichnen soll. In Neuseeland etwa soll die Caretaker-Regierung Entscheidungen über potenziell kontroversielle Themen oder solche, die die Handlungsfreiheit der nächsten Regierung einschränken würden, aufschieben und im neuen Parlament debattieren lassen. Das britische Regierungshandbuch besagt zum Beispiel, dass bei Entscheidungen, die keinen Aufschub dulden, zeitlich begrenzte Maßnahmen umgesetzt oder aber jedenfalls die Oppositionsparteien eingebunden werden sollen.
  • Australien Die aktuelle "Guidance on Caretaker Conventions" der australischen Regierung aus dem Jahr 2018 nennt folgende Dinge, die eine Übergangsregierung vermeiden soll: weitreichende politische Entscheidungen, die die Nachfolgeregierung knebeln, bedeutende Ernennungen sowie große Verträge oder Vorhaben zu fixieren. Ausdrücklich genannt wird die Einbindung der Opposition.

Unabhängig davon, in welcher Form die Spielregeln für den Übergang von einer Regierung zur nächsten geregelt sind, gelten ein paar Eckpunkte überall, erklärt Politikwissenschafterin Sully, die in Wien das Go-Governance-Institut leitet: "Die Hauptaufgabe der Übergangsregierungen sind der Erhalt des Status quo und die Vermeidung von kontroversiellen Entscheidungen in dieser Phase. Außerdem soll sie keine künftige Politik vorwegnehmen oder präjudizieren, und die Opposition soll bei allen Maßnahmen ausreichend Zeit und Information bekommen, auch und vor allem, wenn es um die internationale Positionierung des Landes geht."

Auf den Punkt gebracht lauten einige der wichtigsten Gebote für richtiges Übergangsregieren also: Seid zurückhaltend! Tut nichts, was kontroversiell ist! Bindet die Opposition ein!

Sully betont auch, dass in solchen politischen Transitionsphasen "parteipolitisch neutrale Information ganz wichtig ist". Auch für Social-Media-Aktivitäten der Zwischenregierung rät sie mit Blick auf internationale Usancen zu "moderatem Einsatz".

Konsultation der Opposition ein Muss

Und was, wenn etwas passiert, das über das ruhige Verwalten des Staates hinausgeht? "Dann ist die Konsultation aller Parteien im Parlament ein Muss", sagt Sully. Exemplarisch nennt sie eine große Dürre in Australien, bei der es darum ging, für betroffene Bauern Ausgleichszahlungen zu beschließen – was dort auch konsensuell geschah. Anders ein Fall in Portugal, wo eine "Hausmeisterregierung" von der Opposition dafür kritisiert wurde, dass sie im Alleingang einen Teil der Fluggesellschaft TAP verkaufte.

Innerhalb der erlaubten Grenzen sieht Melanie Sully in Österreich hingegen die Etablierung einer effektiven Kontrolle der Parteienfinanzierung und Wahlkampfausgaben, denn diese sei nicht nur vom Rechnungshof, sondern auch von der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO) und der OSZE mehrfach moniert worden: "Mit so einer Reform würde die Übergangsregierung nicht politisch handeln, sondern bloß internationale Standards umsetzen, die längst fällig sind", sagt Sully.

Transparenz für den Graubereich

Generell rät die Politikwissenschafterin zu transparenten Übergangsregeln für den derzeitigen "Graubereich": "Es wäre gut, wenn es eine klare Orientierung gäbe. Dann könnten die Wählerinnen und Wähler, aber auch die Medien sehen und kontrollieren, ob die Regeln für das Regieren eingehalten werden oder nicht." (Lisa Nimmervoll, 3.6.2019)