Man kennt Phil Collins vom Hinhören oder vom verzweifelten Weghören. Das Wiener Publikum jedenfalls tobte, der Musiker zeigte sich angetan.

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Der Mann wird geliebt, keine Frage. Zwar wiesen Teile des Stadions ähnlich kahle Stellen auf wie das Haupt des 68-Jährigen, doch schon sein Erscheinen versprach, das würde ein Heimspiel werden. Phil Collins geht am Stock. Beschwerlich humpelte er auf die Bühne, winkte und genoss den Sturm der Herzen, die ihm zuflogen. Dann setzte er sich. "Foot's fucked", sagte er. Auf Deutsch: Das Tanzbein ist unpässlich, ein Kollateralschaden eines Rückenleidens.

Dann ging's los: "Against All Odds (Take A Look At Me Now)" als Starter ließ sich als ironische Beschreibung dieser Wiederkehr im Wiener Ernst-Happel-Stadion lesen. Ein Hit war das 1984, das Titellied des gleichnamigen Films: Bombastschlagzeug, Midtempo, rachitischer Synthesizer, pflichtschuldig wurden die ersten Feuerzeuge gezündet.

1984 war ein gutes Jahr für Phil Collins. So wie alle damals. Der Brite war Weltstar und verkaufte Alben nur in Millionenauflagen. Dasselbe galt für seine Veröffentlichungen mit Genesis, die parallel dazu erschienen. Das führte zu einer Phil-Collins-Verstopfung der Radiosender und MTVs sowie zu einem Völlegefühl seitens des Publikums. Sender wie Ö3 wirkten wie Tentakel des Phil-Collins-Monsters — bis heute rotiert sein Werk in den Privatsendern.

Kein Entkommen

Collins gilt als Chiffre der 1980er, als Synonym für Bundfaltenhosen, Sakkos in Pastellfarben und Vokuhilas obendrauf. Der Brite produzierte infizierenden Mainstream-Pop und Kuschelrock. Man kannte ihn entweder vom Hinhören oder vom verzweifelten Weghören — Entkommen gab es keines.

Beim Konzert am Sonntag erinnerten alte Filmausschnitte auf Videowänden im Bühnenhintergrund an diese Weltdominanz, als Collins solo oder mit Genesis die größten Stadien des Planeten füllte. Als er 1985 im Rahmen des Live-Aid-Konzerts zuerst in London auftrat und dann mit der Concorde in die USA flog, um dort noch einmal aufzutreten.

Live kredenzte er zu diesen Memoiren Songs wie "Follow You Follow Me". Je nach Neigung konnte das Wohlwollen oder Sodbrennen im Gehörgang erzeugen. Jedenfalls konvenierte diese Schunkelmucke durchaus mit dem Umstand, dass ihr Interpret saß.

Verve und Zittern

Hinter ihm war eine Batterie aus Freunden und Mitstreitern, die diese Behäbigkeit mitbegründet und verinnerlicht haben. Doch Collins brachte auch einen Bläsersatz mit, mit dem seine Band auf 14 Personen anschwoll. Und die Bläser machten was her, da gab's nix zu meckern. Sie verliehen Songs wie "I Missed Again" oder "Who Said I Would" Verve und Wirkmacht. Collins ließ sich dazu im Rahmen seiner Möglichkeiten mitreißen, erinnerte gestisch wie mimisch ein wenig an Joe Cocker, hatte eine gute Zeit, wenngleich seine linke Hand sichtbar zitterte.

Doch der vor zwei Wochen zum Ehrendoktor der Grazer Kunstuni ernannte Doktor Phil zog bald die Bremse, um ein paar seiner zahlreichen Schmalzfässer zu öffnen. Im Duett mit einer Dame aus dem Chor gab er "Separate Lives", dazu wurde sein Antlitz in einen Sternenhimmel auf der Videowand eingeschrieben: Gänsehaut, aber keine gute.

Die Saat von Ö3

Mit dem 18-jährigen Sohn Nicholas, seinem Drummer, gab er später eine zähe Ballade, dann kam die Sonderprüfung. Von einem narkotisierenden Intro eingeleitet, bremste sich die Band in den Song "In The Air Tonight" ein. 1980er-Bombast, blutleere Stehdisco. Ein Lied wie eine biblische Plage, damals wie heute — natürlich war es der Höhepunkt der Show, Collins hat sich dafür sogar erhoben.

Das Publikum tobte, Collins war angetan. Die Saat von Ö3 und drei Jahrzehnten Radio Brain Dead stand in voller Blüte. Dann noch ein paar Hits mehr und der Abgang zu "Take Me Home". Da ist man sich am Ende doch noch einig geworden. (Karl Fluch, 3.6.2019)